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Mein Transcontinental Race 2017 – Teil 4: Von CP 2 nach CP 3. Mit Anlauf in die Hohe Tatra

Diesen Sommer habe ich am Transcontinental Race teilgenommen. Was für eine Erfahrung! Ihr habt hier nun bereits den vierten Teil meiner Berichtsserie vorliegen, in der ich meine Erfahrungen wiedergeben und meine Fotos von unterwegs präsentieren möchte.

Für die bessere Übersicht daher hier die Links zu den vorherigen Teilen:

Mein Transcontinental Race 2017 – Der Anfang

Mein Transcontinental Race 2017 – Teil 2 (Stint 3 bis CP1)

Mein Transcontinental Race 2017 – Teil 3: Von CP 1 nach CP 2. Über die Alpen von Deutschland über Österreich nach Italien

Darüber hinaus habe ich noch diverse Beiträge zur Vorbereitung und zu Ausrüstungserfahrungen erstellt. Ihr findet diese alle unter dem Tag Transcontinental-Race.

Nun aber zum Teil 4: Er beginnt mit…

Luzifers Hölle ist flach

Tag 6. Donnerstag, der 3. August. Es ist so um 5:30 Uhr, als ich aufwache. Auf dem Boden der Trattoria-Terasse. Langsam beginnt es, hell zu werden. Irgendjemand kommt doch tatsächlich zu dem Parkplatz unter Bäumen neben der Trattoria, steigt in sein Auto und fährt weg… Puh, früh. Wer weiss, wer oder was sich hier sonst noch anfängt zu regen. Bevor hier vielleicht auch jemand in der Trattoria seinen Tag ultrafrüh beginnt, packe ich lieber zusammen. Meinen Radcomputer starte ich um 06:02 Uhr und radele los.

Schon ganz nett, so früh morgens die Morgenstimmung mit zu bekommen. Ich bin zwar in der norditalienischen Tiefebene, aber kurz nach meinem Start noch auf einem kleinen Höhenrücken. Die Hoffnung, einen guten fotogenen Ausblick auf die Morgensonne zu erhalten, erfüllt sich aber leider nicht.

Nach gerade mal 20 Minuten bin ich aber komplett in der Tiefebene und im Außenbereich des Ortes Conegliano angelangt. Sehe dort eine Tankstelle mit angeschlossener Bar und halte dort für Frühstück und Morgentoillette an.
Italienischer kann so ein Frühstück wahrscheinlich nicht ausfallen: Eine Bar, Cappuccino, Pistacchio und Brioches.
Die Toillette war modern, hatte aber anstelle einer Kloschüssel nur die zwei geriffelten Standflächen für die Füße und war zum hinhocken. Hatte ich in dieser Kombination auch noch nicht gesehen.

Alles in allem hat mich dieser Halt 60 Minuten gekostet. Zwei Cappuccino, zwei Hörnchen, ein Sandwich und noch eine Fanta. Nicht geschlungen, aber auch nicht wirklich getrödelt. Dazu die kurze Toillette und im Anschluss Sonnencreme auftragen – dann weiter. 1 Stunde.

Naja, das Frühstück war angenehm und ich war danach fit für den Tag und es war ja trotzdem erst 07:30 Uhr. Alles gut also. Bis vielleicht auf die Temperatur. Ich mag es ja warm und sonnig. Aber sooo warm? Die Temperatur war schon direkt beim morgendlichen Start bei 20 °Celsius. Als ich mein Rad nach dem Frühstück von der Wand der Bar nehme, zeichnet der Wahoo schon 30 °C auf. Durch das Fahren sinkt die gemessene Temperatur dann erst mal wieder auf 25 Grad, nur um dann eine Stunde später langsam und unaufhörlich wieder zu steigen. Um halb 10 sind wir wieder bei 30 Grad, weiter steigend.

Das ist die Hitzewelle Luzifer, die südlich der Alpen neben tollem Wetter leider ungewöhnlich heisse Temperaturen an diesen und den Folgetagen liefert.

Zunächst empfinde ich das aber noch gar nicht schlimm. Ich folge meiner Route, schaue mir die italienischen Orte an, durch die ich komme und folge zuerst lange der SS13 und dann der SS17. Lang, flach, viele sehr gerade Stücke. Gut zu fahren. Ich empfinde den Verkehr auch nicht als zu dicht oder störend. Sehr sehr flach hier. Finde ich und besonders meine Achillessehnen aber gerade sehr gut. Es ist auch das erste Mal, dass ich meine Achillessehnen per Tweet erwähne. Im letzten Beitrag zum TCR (Teil 3) habe ich ja schon einen kurzen Einschub zu Wehwehchen eingefügt. Erste Ansätze mit der Linken Achillessehne hatte ich aber schon vorgestern, am 4. Tag. Schönes flaches dahinpedallieren war da genau das richtige zum Schonen.

A pro pos schonen: Es lief zwar angenehm, aber immer, wenn ich auf meine Wattanzeige schaute, standen da lächerlich geringe Zahlen. Ich bin kaum über 100 Watt hinausgekommen! Ohne Wattanzeige wäre mir das vielleicht gar nicht so aufgefallen, denn ich fühlte mich eigentlich ok und nicht komplett Hitzeermattet oder so. Aber an Leistung kam kaum etwas raus aus mir. „All my Watts are melted in the heat“.

„All my Watts are melted in the heat“

War es wirklich die Hitze oder auch etwas Unterversorgung mit Treibstoff? Wie dem auch war – glücklicherweise war es total flach, so dass ich dennoch recht gut und auch kurzweilig voran kam.

Alsbald führte die Straße über gewaltige, kilometerbreite Geröllfächen. Das waren die mächtigen Schwemmkegel der in den Sommermonaten hier komplett versiegenden Torrente Cellina und Meduna. So eine weite Geröllebene – hier 2 km breit – hatte ich noch nie gesehen. Entlang dieser Schwemmkegelfläche führt der Fluss nur zwischen 1 bis 15 Tage oberirdisches Wasser. Ansonsten versickert er hier. Nach ihrer Überquerung konnte ich mich dann wieder Richtung Norden und so langsam wieder von langen geraden und flachen Straßen auf liebliche kleinere Sträßlein in Richtung karnische Voralpen bewegen.

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Der mächtige Schwemmkegel des Torrente Cellina.

Hier war ich also schon mitten im Friaul. Noch in der Ebene komme ich durch Spilimbergo. Es ist an der Zeit, Verpflegung einzuwerfen bzw. erst mal zu besorgen. Spilimbergo ist groß genug, bald schon sehe ich Hinweisschilder für Lidl und andere Märkte. Nach einem Kreisverkehr sehe ich aber dass der Lidl zwar nah ist, ich aber kurz von meiner Route abweichen müsste. Dagegen sehe ich zu meiner Rechten einen anderen großen, mir aber unbekannten Supermarkt. „Pam“ steht da dran. Na, denke ich, direkt an meiner Strecke und die Gelegenheit, mal was Neues kennen zu lernen: ideal. Rein da.

Ich glaube ich kaufe wieder das übliche, so genau weiss ich das nicht mehr. Bei der Hitze werden es wieder ein / zwei Joghurt, ein Kaffeegetränk aus dem Kühlregal, eine Fanta oder Cola, Mineralwasser für meine Bidons und vielleicht / hoffentlich etwas mit Substanz, vielleicht ein Paninni und eine Wurst gewesen sein.

Kurze Zeit später bin ich wieder unterwegs. Ein schöne, angenehme Strecke. Aber der Stern über mir brennt… In unbeschatteten Bereichen der offenen Strecke zeichnet mein Radcomputer 36 °C im Fahrtwind auf… Meine Strecke führt am Fuße der Voralpen neben dem Tagliamento, der aber von der Straße nicht zu sehen ist, nach Norden. Die Nächste Rast mache ich am kleinen Lago di Cornino. Einem Naturreservat, dass sich der Wiederansiedelung von Gänsegeiern verschrieben hat, die auch in hoher Zahl um die Gebirgshänge kreisen. Ein toller Anblick. Auch des kleinen, grünlich schillernden und flachen Seeleins. Damit mich die Geier nicht holen, geht es auch bald weiter durch die Mittagshitze. Die Temperaturspitze des mitsamt Rad in der Sonne gestandenen Wahoo zeigt 50 °C, wie ich später der Aufzeichnung entnehme. Im Fahren sind es dann nach 20 Minuten „nur noch“ 40 °Celsius… Ächz! Immerhin, mein Leistungsschnitt ist aber wenigstens schon wieder bei 140 Watt… Für normale Verhältnisse wäre das aber noch längst nicht mal Zone 2 bzw. G1.

Trotzdem bin ich sehr guter Stimmung, freue mich aber schon auf den Ciclovia Alpe Adria Radweg, der mich durch das Kanaltal nach Österreich hinein bringen soll. Irgendwann muss der doch jetzt auch schon mal kommen… Zuvor gibt es aber noch reichlich friulische Landschaft zu bewundern und dann auch einmal die Tagliamento zu kreuzen.

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Der Torrente Tagliamento am Austritt aus den karnischen Voralpen in die Tiefebene nördlich von Udine.
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Was für ein Tag und was für eine Gegend.

Auf dem gegenüberliegenden Ufer erwartet mich das historische Städtchen Venzone. Gerade mal eine Stunde ist seit der letzten Rast am Cornino-See vergangen, ich bin aber schon wieder reif für eine Pause und für eine Abkühlung. Die mit großflächigen Steinen belegten Gassen führen mich schnell auf den Marktplatz, wo es einige kleine Cafés gibt. Nicht die Art mit großen Sitzbereichen draußen und geschäftig huschenden Kellnern zwischen Touristenmassen. Sondern wenige Stühle unter Schatten spendenden Schirmen und in der vollends unprätentiösen historischen Steinfassade kleine Fenster und eine dunkle Türöffnung, die in einen schummrig ausgeleuchteten Innenraum führt. Wo nichts los ist, wo es aber guten Espresso, gekühlte Getränke und Eis gibt… Was ich draußen im Schatten verzehre. Eiskrem, Espresso, alkoholfreies Radler – in der Reihenfolge. Viel ist ja nicht hier los, aber ein paar Touristen – auch Radtouristen – sind schon unterwegs.

Ich habe im Schatten sitzen können. An mein Rad habe ich da leider nicht gedacht. Als ich mich ihm wieder zuwende und losfahren will, blinkt mir das Display des Wahoo Elemnt entgegen: „warming up…“ – Display aus – „warming up…“ – Display aus. Endlosschleife. „warming up…“ ist immer die erste Zeile der normalen Einschaltmeldung. Shit… sicher überhitzt! Wenn er beim Cornino-See schon die 50° Celsius überlebt hat, wie heiß mag es ihm hier geworden sein?

Auf der anderen Seite des Marktplatzes ist Schatten und da ist auch ein großer Brunnen. Dort gehe ich hin und halte den Wahoo kurzerhand in den kalten Strahl eines Zulaufs. Schockbehandlung. Führt aber auf schnellstem Wege zum Erfolg. Der Wahoo startet wieder normal und fängt an, die laufende Aufzeichnung wieder herzustellen… Uff. Scheint geklappt zu haben, Zeit, zurückgelegte Kilometer – alles passt. Gut – abends kurz vor Villach wird er mir nochmal ausgehen… Dann werde ich drauf schauen und mich sehr wundern und dann wird mir einfallen, dass ich ja schon seit heute morgen um 06:00 Uhr unterwegs bin und er nach genau 13 Stunden malträtieren, überhitzen und navigieren einfach keinen Saft mehr hat. Dann doch schnell den externen Akku angeschlossen, fluchen, und hoffen dass sich das File wieder regeneriert. Tat es wohl. Habe dann für die letzten 24 km des Tages lieber ein neues File begonnen. Die lange Datei wollte sich am Abend aber partout nicht auf Strava hochladen lassen. Das konnte ich tatsächlich erst zu Hause, mit einem richtigen Computer und manuellem editieren der als CSV-File exportierten FIT-Datei bewerkstelligen. Da hatte es doch einige Einträge so zerschossen, dass da auch in SportTracks oder in GoldenCheetah nichts zum Importieren und Reparieren zu Bewegen war. Auch fitfile-Repair konnte da nichts ausrichten.

Ok, wieder etwas gelernt. Nicht nur dem Fahrer, auch dem Rad Schatten gönnen. Das ist nicht nur für die Elektronik gut, auch für den Inhalt der Flaschen und der Taschen und sicher auch für die Reifen.

Auf den Ciclovia Alpe Adria Radweg mit Hindernissen

Jetzt wurde es spannend: Der nächste Ort nach Venzone war Carnia. Er markiert den Eintritt in das Kanaltal. Ab Carnia war auch die SS13 offiziell für die Rennteilnehmer gesperrt, da sie ab dort sehr befahren sei und viele Tunnels aufweise. Anstelle dieser Straße wurden die TCR-Teilnehmer auf kleinere lokale Straßen bzw. den Ciclovia Alpe Adria Radweg verwiesen. Nun, den Radweg wollte ich ja ohnehin befahren. Problem nur: im südlichen Bereich ist er noch nicht fertig bzw. durchgängig asphaltiert. Es gibt eine Streckenvariante rechterhand der Fella, also nördlich, die aber umständlicher zu erreichen ist und wo man längere Zeit nicht wieder auf die Südseite kommen kann. Fella heißt der Gebirgsbach, der das Kanaltal durchfließt. Dort ist der Radweg unbefestigt und soll in Teilen sogar richtig felsig / schottrig sein – also dem Vernehmen nach keine wirklich gute Option sein. Währenddessen läuft der vermeintlich „offizielle“ (siehe auch die offizielle Webseite Ciclovia Alpe Adria) Radweg dort südlich der Fella und nutzt auch in Teilen ganz offiziell die SS13. Aber die ist ja verboten und längeres Befahren würde Disqualifikation bedeuten. Hmmm. Im Vorfeld habe ich also versucht, mit allen möglichen Karten einen Weg zu finden, um ohne Berühren der SS13 doch auf der Südseite der Fella bleiben, um die Gebirgskante herumzukommen und dann doch auf den fertig gestellten Teil des Ciclovia Alpe Adria Radwegs gelangen zu können… Ein klein wenig Mut zur Lücke war da schon bei der Planung dabei.

Was zeigte die Realität vor Ort? Machbar, aber mit etwas Aufwand verbunden. War mir aber trotzdem lieber als die Nordvariante und ich glaube letztendlich auch die bessere Wahl.

Aber zunächst bog ich knapp hinter Carnia auf einen Wirtschaftsweg ein, der irgendwann in ein Feldweg mündete, der dann mit einer Kette abgesperrt war und wo dahinter bereits Büsche auf dem Weg wuchsen… Hmm. Egal, da musste ich aber lang, anders würde es nicht gehen. Noch war der Weg befahrbar und bald kam ich an die alte Bahnstrecke heran. Bzw. besser gesagt – auf ihr Dach.

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Ei, wo mag denn der Ciclovia Alpe Adria sein?

In Teilen war das so grob geschottert, dass ich kurz schieben musste, dann konnte ich aber wieder fahren. Von oben konnte ich direkt auf die nebenher laufende Autobahn schauen. Dann war ich wieder auf normalen Wegen, unterfuhr ein Autobahnabzweig über Wirtschaftswege und endete schließlich doch auf einer Zufahrt zur SS13… Merde! Da stand auch noch die Polizei rum und machte Geschwindigkeitskontrollen. Kümmert sich aber nicht um mich. Naja… es waren nur noch wenige 100 Meter, dann musste laut geplanter Route der dort dann nun tatsächlich separat der SS13 führende Radweg beginnen. Also… bisschen Grauzone ist immer und hier würde ich definitiv nicht umkehren. Also ganz normal auf einer ganz normal befahrenen Straße wenige 100 Meter gefahren und tatsächlich, bald sah ich rechterhand erst eine Mauer, dahinter dann Radweg-Schilder und wenig später auch eine Unterbrechung der Mauer und Gelegenheit, über bewachsenen Randstreifen auf den Radweg zu klettern…

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Now we are talking! Da isser ja, der Ciclovia Alpe Adria Radweg. Toller Asphalt, brandneu. Und ein Kühle versprechender Tunnel. Nur 5 Meter hinter mir bin ich auf den Radweg geklettert.

Wow! Ein Radweg! Und was für einer! Ich kam mir schon ein wenig ver*rscht vor. Vor mir Radweg. Aber hinter mir auch! In die Richtung, aus der ich doch gerade mit viel Mühe gekommen war! In feinstem, glatten Asphalt. Sehr neu, aber sehr real und auch sehr befahren. Warum habe ich in ganz Carnia trotz Augen offen halten keinerlei Hinweisschilder auf diese Teilstrecke des Radweges gefunden. Auch alle gefundenen Webseiten und Forenberichte zum Alpe Adria Radweg hatten dazu noch keine Information. Hmm, doof. Andererseits: Jetzt war ich endlich auf dem Radweg, der mich durch das Kanaltal in Richtung Österreich führen sollte.

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… und so geht er in die Richtung weiter, aus der ich ja gerade umständlichst komme… WTF.

Auch wieder ein sehr reizvoller und toll asphaltierter Radweg. Und: er hatte viele Tunnels. Gerade bei dieser Hitze eine willkommene Eigenschaft! Im ersten langen Tunnel kühlte es sich dann direkt auch von draußen 36 ° auf drinnen 29 ° ab. Deutlich spürbar und willkommen.

Das – und vielleicht die Tatsache das ich wusste „ein neuer Abschnitt ist erreicht, du bist auf dem Radweg, der führt dich jetzt automatisch bis nach Österreich hinein“ führten direkt zu nochmals gehobener Stimmung und auch wieder zu mehr Leistung.

Der Ciclovia Alpe Adria Radweg hat jetzt den erst zwei Tage zu vor kennengelernten Valsugana-Radweg, die Via del Brenta, von meiner absoluten Platz 1 Position verdrängt, war aber auch nahe dran und ist eine klasse Empfehlung wert. Das Kanaltal ist im unteren Teil sehr eng und zwar einerseits imposant anzuschauen, aber auch mit viel Beton verbaut. Schließlich quetscht sich neben dem Fluss noch die SS13 hindurch und auch die Autobahn kommt mal hier und dort aus dem Berg, kreuzt das Tal mit einer Brücke und verschwindet dann wieder im nächsten Tunnel. Trotzdem, ein reizvoll zu durchfahrendes Tal, dieses Kanaltal mit seinem seltsamen Namen.

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Radweg-Brücke über die Fella im Kanaltal

Pontebba ist einer der wenigen (ein / zwei) Orte, durch die der Radweg mittendurch führt. In Pontebba will ich mich aber nicht wirklich schon wieder auf den Marktplatz setzen und Pause machen. Später halte ich dann aber Ausschau nach irgendwas direkt am Radweg, wo ich Rast machen oder kurz etwas einkaufen kann. Allein – es kommt nicht wirklich was. Der Radweg läuft immer schön einsam an jedem Örtchen vorbei – im späteren Verlauf sogar auf der jeweils anderen Tal- und Bachseite. Erst in Ugovizza finde ich einen alten Bahnhof, der zu einem bewirteten kleinen Bistro umgewandelt wurde, direkt am Radweg. Sehr einladend und eine kurze Rast mit Treibstoffnachschub von mir schon länger herbeigesehnt.

Ich brauche Kohlenhydrate und eine kalte Pizza, die so ein wenig an Zwiebelkuchen erinnert, erscheint mir genau das Richtige. Und Cola. Und Wasser. Und dann dreht sich da noch irgendein Rührwerk, was ganz interessant aussieht und Kühlung verspricht. Crema Café steht da drauf. Das probiere ich doch mal gerne.

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Oh jaaa, sehr lecker und erfrischend. #fueldbyicecream in quasi Shakeform mit ordentlich Koffeeinbumms. :)

Während ich das noch genieße, sehe ich Grace (Cap 196) auf dem Radweg vorbeifahren. Nach meiner Rast hole ich sie alsbald auf dem Radweg ein. Wir unterhalten uns, während wir nebeneinander fahren. Dann wird der Radweg etwas verwinkelter und geht rauf und runter und wir wünschen uns noch jeweils gute Fahrt und ich beschleunige wieder. Es ist jetzt spät am Nachmittag, wir nähern uns dem Scheitelpunkt des Ciclovia Radwegs auf 818 m über NN. Die Temperaturen sind mit 28 °C endlich wieder erträglich und der Weg sieht kurz aus wie einer der vielen schönen Waldwege im Rothaargebirge. Da macht das Heizen um die Kurven Spaß und auch die Wattwerte passen wieder. Nach 12,5 Stunden passiere ich die Grenze nach Österreich. Auf halben Wege zwischen Arnoldstein und Villach überquere ich die Gail. Ein tolles Bild in der Abendsonne:

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Die Gail in Österreich

Hier geht dann auch mein Wahoo der Sprit aus. Wie oben geschrieben bin ich ja schon 13 Stunden unterwegs und hatte ganz vergessen, ihn zu laden. Deswegen stöpsele ich ihn jetzt an den externen Akku an.

Über Villach nähere ich mich auf erstmal saumäßig stark befahrenen Straßen. Bin irgendwie auf die Zubringerroute der Autobahn ins Stadtzentrum geraten, wirkliche Alternativen bieten sich mir aber vor Ort nicht. Wo die Straßen in und um Villach nicht stark befahren sind, sind sie ziemlich hinüber. Oder beides: Stark befahren und hinüber. Nicht wirklich schön und so bemerkenswert, dass ich im zugehörigen Strava-Upload ebenfalls kommentiere: „Allerdings muss ich den Villachern sagen: Eure Straßen saugen… Entweder komplett im Arsch oder Verkehr aus der Hölle. Auch mal Beides. ;-)“

Villach ist dann aber doch bald durchfahren und ich nähere mich dem Ossiacher See. Sehr schön. Hier hatte ich im Vorfeld schon recherchiert und wusste, dass mich hier diverse Orte und somit garantierte touristische Infrastruktur entlang des Ufers erwarten würde. Es hätte auch gute Campingplätze gegeben. Ich fuhr schlussendlich fast bis ganz an sein Nordost-Ende und beschloss dann in Ossiach eine Pension anzufahren. Im Rückblick schaue ich auf meine Tagesleistung und frage mich, warum ich um 20:15 Uhr schon den Tag beendet habe. Aber vor Ort wusste ich jetzt nicht, was noch nach Ossiach kommt bzw. ich hatte auf die Karte geschaut und der nächste Ort war mir dann doch zu weit weg – ich wollte da auch nichts suchen und überhaupt war ich ja schon seit morgens um 06:00 Uhr unterwegs, hatte in der Nacht zuvor einfachst auf hartem Steinfußboden genächtigt und Körper und Rad hatten mal eine ausführliche Wartung verdient. Mimimi und so.

Ich nutzte die Gelegenheit zu einer warmen Mahlzeit nach der Dusche. Eigentlich die erste warme Abendmahlzeit des TCR, sehe ich mal von dem McDonalds-Besuch abends in Saargmünd am Tag 1 ab. Zum Nachtisch gibt’s trotzdem wieder ein Eis. :)

Aber: so richtig weit bin ich ja auch heute in dieser Hitzeschlacht nicht gekommen. „Lausige“ 209 Kilometer waren es heute nur. Insgesamt 302 Minuten Pause (davon 60 Minuten Frühstück u. Morgentoillette, die sonst nicht im der Tagesaufzeichnung enthalten sind) bedeuten 35,7 % Pausenanteil an der Gesamttagesfahrzeit! Nicht wirklich Race-würdig.

Der Schlaf tat aber sehr gut. Das erste mal seit zwei Nächten konnte ich wirklich gut schlafen. Verschlief auch prompt leicht. Hoffe aber, dass mir (und meinen Achillessehnen) das gut geholfen hat.

Time-Trialling Österreich

Beim Frühstück rechne ich: 698 Kilometer sind es von hier bis zum Kontrollpunkt 3. Heute ist Tag 7, Freitag, der 4. August. Um den Kontrollschluss einzuhalten, muss ich bis Sonntag, 16:00 Uhr am CP3 in der Hohen Tatra sein.
Um 10:19 Uhr starte ich meine Fahrt und meinen Radcomputer. Knappe 54 Stunden, 13er Schnitt non-Stop ohne Schlaf wäre erforderlich. Ok – dann mal auf die Tube gedrückt.

Glücklicherweise sind meine Watt wieder da. Heute habe ich eine Mission. All Business today! Glücklicherweise werde ich feststellen, dass Österreich ziemlich flach sein kann. Zuvor muss ich zwar den einen oder anderen „Hübbel“ überwinden und am Ende dieses Tages werde ich auch wieder 1740 Höhenmeter gesammelt haben, aber insgesamt alles super flüssig fahrbar und insgesamt mit einem vergleichsweise flachen „Bergfaktor“ von nur 8,5. Also auf 100 km nur 850 Höhenmeter.

Schon bald ist der Verkehr aber gar nicht schön. Ich bin zwar auf einer für Fahrräder legalen und auch seitens dem Rennen zugelassenen Straße, aber es ist Ferienverkehr und in Teilen sind Fahrspuren gesperrt. Das war da wirklich nicht schön. Aber schnell. Schnell ging es auch weiter, als dann endlich ruhigere Straßen erreicht wurden. Bin fast die ganze Zeit in den Aufliegern gewesen.

Irgendwann komme ich durch einen Ort namens Kraubath an der Mur und will irgend eine Verpflegungsstopmöglichkeit suchen. Diese finde ich nicht. Die ortsansässige Wirtschaft in einer ehemaligen Tankstelle verkauft nur Alkohol und Softgetränke – nichts mit Kaffee und Kuchen oder was zu Essen. Dafür sehe ich einen anderen Ultradistanzradler:

Kraubath an der Mur, Heimatgemeinde von Christoph Strasser
Kraubath an der Mur, Heimatgemeinde von Christoph Strasser

Ich komme weiter sehr gut voran und will auch auf jeden Fall noch über den Semmering fahren und erst dahinter dann zu einer Nachtruhe einkehren. Das Wetter sieht am frühen Abend aber vor mir gar nicht mehr gut aus. Wind kommt auf und weht mir entgegen, so dass ich mich für das Kauen meiner Wegzehrung in einer Pause in den Windschatten eines Hauses stelle. Als ich wieder in Fahrtrichtung schaue, wird der Himmel vorraus bleiern. Hmm, Hmm. Das sieht nicht gut aus. Ich fahre weiter und sehe bald Wetterleuchten über dem Semmering voraus. Das Wetterradar zeigt übles, aber doch über dem Semmering konzentriertes Niederschlagsbild. Ich hoffe, dass verzieht sich bald wieder und versuche den nun auch mir direkt voraus drohenden Regen mit einer geschickt gewählten Pause abzuwarten.

In Krieglach, gerade einmal 15 oder 20 km vor dem Beginn des Anstiegs zum Semmering, halte ich an einer Gaststätte mit überdachter Außenveranda. Wenn ich schon mal in Österreich bin, dann kann ich auch mal ein Wiener Schnitzel ordern, denke ich mir.

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When in Rome…
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Regengeschützt unter dem Vordach der Gaststätte.

Noch hat es nicht mit dem Regnen angefangen, aber die Intensität des Wetterleuchtens nimmt zu. Ich lasse mir betont Zeit mit dem Essen. Das wird auch dadurch unterstützt, dass der Kellner, der sonst nur noch einen anderen Gast hat und aufgrund meiner Kluft und meines Rades neugierig geworden ist, Fragen stellt. Die ich ihm sehr gerne beantworte. Was nur zu ungläubigen Staunen und noch mehr Fragen führt… ;-)

Währenddessen schaue ich immer mal wieder auf das Regenradar. Mist, das mit dem „Abwarten auf das Auflösen“ scheint sich nicht aus zu zahlen. Die roten Flecken auf der Karte verschwinden nicht, sie dehnen sich weiter und weiter aus. Bald hat es auch in Krieglach angefangen zu Regnen und auf der Radarkarte ist fast ganz Mittelösterreich eine einzige Gewitterzone…

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Na super – aber auch mitten drin!

Regen wäre ja das eine. Aber Regen und Gewitter nachts in den Bergen – das muss ich nicht haben. Der Kellner kann mir eine Pension im selben Ort empfehlen, die ich nach meinem Schnitzel anfahre. Wirklich eine schöne und gute Pension – aber das bedeutet, dass ich heute wieder nur 206 km geschafft habe. Um 21:22 komme ich nur leicht durchnässt, weil wenig von der Gaststätte entfernt, an der Pension an.

Letztendlich habe ich 1,5 Stunden durch das Gewitter für ein Wiener Schnitzel und TCR-Geschichten so semi-verplempert, um dann doch 2 Straßen weiter in ein Hotel für die Nacht einzukehren. Also eigentlich war mein Ride-Ende um 19:55 anstelle 21:22.

Nachts hat es auch schön durchgeregnet. Und beim Frühstück erfahre ich, dass es auch wenige Kilometer weiter am Vorabend 10 cm Hagel auf den Straßen gegeben hätte – Nun wenigstens war meine Entscheidung dann sinnvoll.

Nach einem guten Frühstück warteten dann aber immer noch 492 km bis zum Kontrollpunkt übermorgen um 16:00 Uhr auf mich. Herausforderung weiterhin akzeptiert!

Über den Semmering durch Niederöstereich und Hinein in die Slowakei

Tag 8, Samstag der 5. August. Die erste Woche des TCR ist um. Und ich habe bereits 6 Länder durchfahren. Wow.
Jetzt wartet aber noch der Rest von Österreich und dann die Slowakei auf mich. Um 09:00 beginnt mein Tag. Erst mal ist der Himmel noch grau und die Straßen nass. Aber von oben ist des Trocken. Der Semmering ist ziemlich unspektakulär und schön sanft ansteigend. Eigentlich nur eine Asphaltblase, über die ich schnell hinweg bin.

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Semmering

Wollen doch mal sehen, ob ich die Pace von gestern halten kann. Ich hätte ja wirklich nicht gedacht, dass ich auch hier und heute wieder so gut voran komme. Niederösterreich ist voll das Zeitfahr-Areal. #AnotherdayontheAerobars.

Ich muss ja auch vorwärtskommen. Der Plan steht jetzt schon fest. Fahren, fahren fahren. So weit und so lange, bis ich für den morgigen Sonntag nur noch 150 km auf meinem Track bis zum CP 3 übrig habe. Erst dann Pause und die restlichen 150 km dann am Sonntag bis 16:00 Uhr.

Es läuft super flüssig. ich weiss aber auch, was das für eine Aufgabe ist. Kein Zuckerschlecken.

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Kein Zuckerschlecken? Doch – Zucker ist ja Treibstoff. Also, endlich mal einen ordentlichen Kuchen. Oh ja – da habe ich jetzt Hunger drauf! Im Bereich Wiener Neustadt (ein Stadtname, über den ich schon ein paar mal beim Routenplanen gestolpert bin – das ist eine eigene Stadt, die zweitgrößte in Niederösterreich sogar, und hat mit Wien erst mal so gar nichts zu tun…) sehe ich die Goldenen Bögen und schließe sofort: da muss dann also sicher auch ein McCafé dabei sein. Hin da. Erst mal wähle ich die falsche Einfahrt, finde dann aber die Richtige. Sie führt mich auf einen Nebenweg und Hinterhaus-Parkplatz, denn das McDonalds ist eigentlich an der Autobahn angesiedelt. Ich muss also erst mal noch eine Treppe hoch. Und das McD ist – Ferienzeit und so – leider auch gerade sehr stark frequentiert. Ich muss also eine Weile in der Schlange stehen, während Horden von Autobahngästen dort ein und ausgehen. Ich stehe oben im 1.OG und mein Rad ist draußen vor dem Eingang angeschlossen. Das war eigentlich der abstelltechnisch für mich mulmigste Moment im ganzen TCR.

Bei McDonalds
VIP Parking im McDonalds Vorgarten.

Aber dann hatte ich endlich meinen großen Cappuccino, eine Fanta und zwei Stück Kuchen und konnte mich schön draußen hinsetzen. Danach ging es geschwind über gut zu fahrende und flache Straßen weiter. Die Ortschaften, durch die ich kam, hatten nun einen ganz eigenen Charakter… Ich will ihn mal östlich kontinental nennen. Trotz klein und ruhig eher weit angelegte Straßen, d.h. die Gebäude auf beiden Straßenseiten eher etwas weiter auseinander. Meist nur Niedrig und oft geschlossene Fassadenfronten entlang der Straßen. Man konnte aber viele Tore sehen, die auf dahinterliegende Hofbereiche schließen ließen. Ähnlich würde ich es auch wenig später in der Slowakei vorfinden. Interessanterweise kamen mir die Orte und die Landschaft drumherum trotzdem interessanter und angenehmer vor als hier jetzt auf meiner Route durch Niederösterreich schnurstracks auf Bratislava zu.

Nur wenig als 1 Stunde später will ich wieder Verpflegung nachlegen. Google Maps zeigt mir im Fahren in der nächsten Ortschaft einen Spar-Markt direkt neben meiner Route an. Dort plane ich, einzukaufen und mache das auch. Es ist der Spar am Ortsausgang von Hof am Leithaberge in Niederösterreich.Relativ schnell rein und wieder raus. Dort ist praktischerweise ein rustikaler Picknicktisch platziert, an dem ich Platz nehme.

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Foodhaul im Spar am Ortsausgang von Hof am Leithaberge in Niederösterreich

Wie man sieht ist fruchtig-breiig immer noch angesagt. Dazu einen kalten Latte Macchiato aus dem Kühlregal und eine Apfelschorle. Dort habe ich auch eine Rennradfahrererin aus Bratislava getroffen. Sie kam nach mir an, wollte ihr Rad mit in den Markt nehmen, bekam es verwehrt und schaute sich sorgenvoll nach einem sicheren Plätzchen für ihr Schätzchen um. Ich bot ihr an, so lange drauf aufzupassen, wie sie für ihren Einkauf benötigte. Sie erzählte mir kurze Zeit drauf, dass sie auf einer ihrer Standardrunden von Bratislava aus unterwegs sei.

Wir zogen danach aber in unterschiedliche Richtungen von dannen. Meine Strecke führte mich nördlich eines kleinen Höhenrückens weiter nach Nordost, der wiederum nördlich des Neusiedler Sees gelegen war. Beim Routenplanen im Vorfeld überlegte ich kurz, ob ich meine Strecke so legen sollte, dass ich entlang des Ufers des Neusiedler Sees fahren würde. Entschied mich aber dagegen. Wer weiss, ob man viel vom See und drumherum mitbekommt, selbst wenn man sehr nahe dran entlang fährt? Und außerdem: ich hatte schon so viele Highlights allein durch die Kontrollpunkte und was sich mir sonst noch so alles an Unbekannten ganz normal während meiner Gesamtstrecke zeigen würde – da wollte ich nicht noch irgendwelche Sonderzacken in meine Route bauen. Effizienz hat da gesiegt.

Kurze Zeit später kam prompt so etwas Unerwartetes, Interessantes. Entlang flacher Weinanbaufelder fahrend, kam ich plötzlich durch eine Straße, deren halbhohe Gebäude eine seltsame Mischung aus Hobbitbehausungen und Miniferienwohnungen zu sein schienen.

Das musste ich erst mal auf mich wirken lassen, während ich überlegte, was das hier sein könnte. Glücklicherweise kam nun auch endlich die Sonne deutlich und vollständig heraus. Ich dachte schon, ich hätte heute den ersten Tag, wo ich keine Sonnencreme bräuchte. Wenig später war es dann soweit. Der Stern brannte wieder deutlich und mahnte sofortiges Einkremen an. Was ziemlich eklig ist, wenn man sowieso schon komplett durchgeschwitzt ist. Und es bedeutete auch, dass ich nach dem Fotostop extra nochmal anhalten musste und in der Satteltasche kramen musste. Denn das kleine Sonnencreme-Fläschchen hatte ich wohl in der Handlebar-Bag. Aber die Feuchttücher, um die eingesauten Handflächen und Finger wieder Handschuh- und Lenker-tauglich sauber zu bekommen, die waren in der Satteltasche…

Doch zurück zur Kellergasse. Das war es nämlich, was ich da kurz hinter Prellenkirchen entdeckt hatte. Eine Kellergasse, so hat mir nach dem TCR Tante Wikipedia erzählt, sind entlang einer Gasse angeordnete, halb oder ganz in die Erde gebaute Häuser, um Wein zu lagern oder auch zuvor zunächst zu pressen. Das sind dann Presshäuser.

So etwas kannte ich bis dahin noch nicht. Also: noch ein paar Fotos gemacht. :)

Und dann ging es weiter. Bratislava lag unmittelbar voraus. Hallo Slovensko!

Der „Wilde Osten“

Der erste Kulturschock war schnell verdaut. Die Grenze unprätenziös, da von Österreichischer Seite durch mich über Feld-Wirtschaftswege erreicht. Dann stand ich aber auf einer stark befahrenen und ausgebauten Straße mit vielen Werbetafeln am Rand und in einer Sprache beschriftet, die ich zwar lesen, aber nicht verstehen konnte. Torsten, ab hier betrittst du Neuland… Ab hier begann also gefühlt (und sicherlich auch ein bisschen tatsächlich) der „wilde Osten“ für mich. Alle bisherig durchfahrenen Länder waren entweder unmittelbare Nachbarn Deutschlands, schon ewig in der EU, immer schon „dem Westen“ zugehörig und mindestens schon einmal im Rahmen von Urlauben oder Dienstreisen besucht. Oder alles zusammen. Hier und in den darauf folgenden Ländern war ich aber noch nie! Toll! Das gehörte ja auch zum Reiz des TCR dazu. :)

Auf der Straße wollte ich nicht fahren – ich wählte erst eine Art Radweg, der dann in eine Art Randstreifen überging. Und sauviele sehr große Löcher hatte. Obacht also. Ich war froh, als ich den Zubringer endlich für normale Stadtstraßen im Stadtbereich Bratislavas verlassen konnte.

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Die Brücke des Slowakischen Nationalaufstandes (Most SNP) mit dem Restaurant UFO.

Und sofort bot sich mir das Bild dieses Ufos. Eines der Wahrzeichen Bratislavas, ein Restaurant auf dem Hauptpylon der Brückedes Slowakischen Nationalaufstandes  beherbergend. Ich überquerte die Donau quasi eine Brücke weiter, über die sogenannte Alte Brücke. Eine in charakteristischem Grün angestrichene Stahlfachwerkbrücke.

Starý most, die "Alte Brücke"
Starý most, die „Alte Brücke“ über die Donau in Bratislava

Die Altstadt bzw. das Schloss sah ich also nur von dieser Brücke aus. Meine Route führte mich so schnell wie es ging durch Bratislava Richtung niedere Tatra. Das einzige, was ich neben den Brücken und den Straßen von Bratislava gesehen habe, war ein Lidl. Lidl, Spar, oder Penny – das waren Ketten, die man immer überall finden konnte. Egal wo in Europa. Und die den Vorteil des halbwegs vertrauten Angebotes und besonders der Möglichkeit des bargeldlosen Zahlens bieten. Tankstellen bieten das auch. Kleinere Läden, die ich später besonders in Rumänien und Bulgarien vorfand, leider nicht. Hier konnte ich also im Lidl jetzt ganz normal mit EC-Karte zahlen. Die Slowakei hat den Euro als Zahlungsmittel – interessant wurden solche Überlegungen später ab Rumänien.

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Die Donau in Bratislava

Nachdem ich möglichst zügig im Lidl eingekauft und das Erste schnell auf dem Parkplatz zu mir genommen hatte, ging es weiter aus Bratislava heraus. Das ging auch gut und angenehm. Die Straßen waren sehr gut, auch außerhalb Bratislavas. Die Landschaft weiterhin flach und sehr ähnlich der von Niederösterreich, aber insgesamt doch schöner und interessanter. Zudem lag jetzt ein wunderschönes Licht über der Gegend. Was aber auch bedeutete, dass der Tag langsam dem Abend wich. Ich konnte weiterhin sehr zügig und gut in der Aufliegerposition über das Land fliegen. Die gewählten Straßen waren meist einsam, wenig befahren und trotzdem gut asphaltiert.

Nördlich von Galanta habe ich plötzlich die erste Entdeckung einer anscheinend in der Slowakei nicht seltenen Tatsache: die Straße, auf der ich mich befinde, bzw. auf die ich Einbiegen will, wird zu einer stark ausgebaute Kraftfahrtstraße. Für Fahrräder verboten und auch ganz sicher nicht dafür geeignet. Das Extrablöde: hier kreuzt sie einen sehr, sehr breiten Fluß und eine normale Straße und andere Brücke ist weit und breit nicht zu sehen. Per Wahoo Karte und per Google Maps prüfe ich meine Optionen. Hmm, Mist – ich muss erst mal rund 4 km nach Norden, dann wieder 6 km nach Süden und dann wieder nach Norden, um auf eine Straße zu gelangen, die mich wieder weiter Ostwärts auf meine vorgewählte Route bringt. Am Ende waren das hier vielleicht 10 bis 12 Extrakilometer, wo doch die schön in meine Richtung führende Schnellstraße so verheisungsvoll vor mir lag… Im Vergleich zu möglichen Umwegen, die einem im Gebirge oder vor verschlossenen Grenzübergängen ereilen können (und in der Tat nicht wenige andere Teilnehmer in diesem und in vorherigen TCRs ereilten) eine vollkommene Lapalie. Ich habe mich trotzdem sehr geärgert – es war schon spät, und ich musste noch einiges für mein Tagesziel tun. Dieser Streckenplanungs-Irrtum muss mir passiert sein, als ich in einer späten Phase noch die Durchfahrt des Ortes Sered (durch den bin ich dann schlussendlich gefahren) zugunsten des Ortes Galanta geändert hatte. Bei der groben Tagesvorplanung hatte ich nach möglichen größeren Orten mit Hotelverfügbarkeit geschaut und für den Abschnitt hinter Bratislava dann lieber Galanta anstelle Sered als Option gewählt. Deswegen gab es wohl diesen Fehler. Aber, wie gesagt, es resultierte hier nur eine leichte Verzögerung.

Etwas später danach fahre ich dann endlich in Nitra ein. Goldene Bögen in der Stadtmitte. WLan, warmes Fastfood, viel Cola, meine Geräte (iPhone und Wahoo) an die Akkus anstöpseln. Es ist mittlerweile 20:40 Uhr und die Dämmerung ist schon fortgeschritten. Ich bin ziemlich erschöpft. 258 km stehen seit heute Morgen auf der Uhr. Das reicht noch lange nicht. Welche Optionen habe ich? Einfach weiterfahren. Ich habe extra zwei Cheeseburger mehr gekauft, die wandern in meine Foodpouch. Da sind glaub auch noch ein paar Notfallnüsse drinnen. Die Flaschen fülle ich auf der Toillette wieder voll auf und packe dann meinen Kram beisammen. Ein Paar am Nachbartisch scheint amüsiert und er spricht mich schließlich an. Sie hätten gewettet. Ich wäre „Dutch“ oder? Nein, ich muss sie enttäuschen. „German“. Hmm, seine Entäuschung währt nur kurz, dann lacht er wieder mit seiner Partnerin.

Ich brauche noch etwas Zusatzverpflegung und will eine Fanta zum mitnehmen, die ich an der benachbarten Tankstelle kaufen kann. Da steht so eine Art Nachtschaltercontainer. Dann mache mich auf den Weg in die Nacht.

Ich bin immer noch etwas erschöpft und das Essen muss erst mal sacken. Mein Entschluss ist gefasst, ich fahre so lange durch die Nacht, bis – wie heute morgen geplant – ich nur noch 150 km auf der Uhr habe. Ich hoffe, dass es doch noch wenigstens ein paar Stunden Schlaf reichen wird. Wo auch immer. Die Geschwindigkeit des Tages ist aber wie herausgesaugt aus mir. Ich habe ganz automatisch und halb bewusst, halb unbewusst in eine Art Nachtfahr-Ökomodus geschaltet. So kann ich jetzt zwar endlos fahren, aber komme auch weniger schnell voran.

Die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Tag und Nacht ist schon ein Unterschied wie Tag und Nacht, sozusagen ;-)

Die Nacht ist warm und angenehm. Und die Hunde, die bellen, befinden sich allesamt hinter augenscheinlich gut abgeschlossenen Grundstücksumzäunungen. Da ist die Slowakei noch recht westlich aufgestellt. Puh – jetzt schon Hunde, die in der Nacht hinter mir her sein könnten, das muss ich jetzt noch nicht haben. Nein, dass will ich überhaupt nicht haben. Es läuft also wie gesagt doch recht gut – wenn auch nicht fürchtbar zügig. Langsam macht sich aber Druck und Unwohlsein im Darmbereich breit. Hah jo – es muss wohl sein. Ich suche mir ein von der Straße abgewandtes Plätzchen mit trotzdem flachen und sauberen Untergrund, um meine erste Outdoor-Toilette des TCR zu verrichten. Dafür hat man ja schließlich auch die Hygienetücher dabei, nicht? Operation erfolgreich, erleichtert geht es weiter.

Irgendwann zeigt dann die Anzeige der verbleibenden Kilometer bis zum Kontrollpunkt 3: 199,1 km! Jawoll! Zwar noch nicht das Tagesziel, aber ich hatte mir selbst für diesen Kilometerstand die Belohnung in Form eines Cheeseburgers versprochen. Den Verzehre ich bedächtig in einer Bushaltestelle sitzend. Nur nicht einschlafen, währenddessen.

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Begeistert ist anders… ;-)

Weiter geht es durch die Nacht. Es wird abgeschiedener, ich gelange in die niedere Tatra. Irgendwann merke ich, dass ich „trockenlaufe“. Hmm, lieber mal den Sitzkontaktbereich nachschmieren. So alle 300 Kilometer muss das dann wohl so sein…

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Nachschmieren. Nachts. In einer Bushaltestelle. Nein, nicht die Kette…

Danach geht es weiter. Die Straße ist jetzt sehr einsam. Und sehr dunkel. Die Hron hat hier ein sehr enges Tal geschaffen, auf dessen Grund es sehr dunkel ist. Rechterhand spüre ich sie mehr aufgrund ihrer Kühle als dass ich etwas sehe oder höre. Linkerhand reicht der Hangwald bis an die Straße und manchmal höre ich Geräusche und will mir lieber nicht ausmalen, ob da gleich eine Rotte Wildschweine oder was auch immer sonst über die Straße laufen will. Oder Hunger auf einen schön angeschwitzten Radfahrer hat.

Aber: der Countdown hat begonnen, die 150 km Rest werden im nächsten Örtchen erreicht sein. Trnavá Hora heisst es. Ein erschöpftes Zufriedenheitsgefühl macht sich breit. Jetzt mal schauen, wo ich mich da so hinlegen kann. So ganz ohne Schlafsack und co. Ich hoffe auf eine Art Pizzeria-Veranda oder ein bequemes Bushäuschen, irgendwas. So scoute ich den kleinen Ort. Bis zu seinem schnell erreichten Ortsausgang. Da ist eine Kirche. Hmm, die Eingangstür ist aber leider zu. Eine Bank davor unter einem Baum? Sieht unbequem und ungeschützt und zugig aus und ist mir zu nah an der Straße. Wieder zurück. Mal auf die andere Eisenbahnseite. Nichts zu finden. Wieder Ortseingang. Oh, da ist ja doch eine Art Restaurant mit überdachtem Verandabereich. Aber nichts zu machen, sehr hoher Zaun, alles verrammelt. Also doch nochmal diese Bushaltestelle angucken. Ach, eigentlich ist die ja ganz cool. Wenigstens bin ich da trocken und wind- und regengeschützt und die Bank ist flach und gerade breit genug. Das wird schon passen.

Wann geht denn hier der erste Bus? Oh, um halb 6 Uhr schon!? Dreck, hoffentlich nicht morgen und hoffentlich nimmt den keiner. Egal. Es ist jetzt 4 Uhr in der Nacht und ich hoffe auf wenigstens 2 bis 2,5 h Schlaf. So, wie ich bin, lege ich mich auf die Bank. Als Kissen dient mir die PedalEd Musette und mein T-Shirt. Als Decke bzw. angezogener Schlafsack die Goretex-Regenjacke, die ich schon für die Nachtfahrt an hatte. Das Rad kann ich nirgendwo festketten, also wird das Schloss nur um Rahmen und Räder gelegt und ich kann es schnuckelig direkt neben mir an meine Bank lehnen.

So mache ich die Augen zu und Döse weg. Später – es muss halb 6 Uhr sein – höre ich tatsächlich ein Auto halten, Tür öffenen und jemand aussteigen. Der wird zum Bus gebracht worden sein denke ich. Und mache die Augen nicht auf. Ein Bus kommt und fährt wieder. Passt. Weiter dösen. Aber nicht lange. Es wird hell und ich kann und will jetzt auch nicht hier rumliegen bleiben. Während ich mich aufrichte sehe ich Dani und Guillermo, das spanische Bruderpaar, cap 258a und b vorbeifahren. Wir winken und rufen Hello! Ich finde, ein guter Start in den Tag.

Schnell alles wieder verpackt und noch ein, zwei Fotos meiner nächtlichen Lagerstätte gemacht. Das Selfie, welches ich mit dem iPhone noch im Liegen gemacht habe, zeige ich hier jetzt lieber nicht. Aber mein Domizil ist schon ganz nett.

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Nachtlagerstätte für 2,5 Stunden.
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Auf nötigste minimierte Möblierung

Um 06:36 fahre ich los und finde bereits um 07:20 Uhr einen McDonalds in Zvolen, der auch schon auf hat. Hurra! Frühstück! Kaffee, McMuffins und Co! Das tut gut. Ich hatte eigentlich erwartet, Dani und Guillermo hier zu finden, sie sind aber wahrscheinlich leicht anders gefahren. Egal – ich sitze draußen, es ist leicht bedeckt, aber recht freundlich. Hab’ ich da etwa einen Tropfen gespürt? Ach – wird schon passen. Nach einem Kaffee und warmen Frühstück sieht der Tag schon sehr leistbar aus. Gestern hatte ich bewusst die Radcomputer-Aufzeichnung gestoppt. Für mich war „ein Tag“ und damit ein Stint rum. Und was man gespeichert und synchronisiert hat, ist schon mal sicher „im Sack“. Ich fände es persönlich schade, die Aufzeichnung eines so langen Tages zu verlieren. Auf dem Tacho standen somit 350,4 km und 2150 Höhenmeter in 18,9 Stunden Gesamtdauer. Davon war ich 13,6 Stunden in Bewegung. Ergibt einen „Tagesschnitt“ über alles von 18,6 km/h und einen Schnitt in Bewegung (so berechnet ihn Strava auch immer) von 25,8 km/h. Ganz ordentlich, aber natürlich auch durch das flache Terrain und weitestgehend sehr gute Straßen gut unterstützt.

350,4 km sind jetzt auch mein persönlicher Rekord für die längste aufgezeichnete Radfahrt. Und das nach 8 Tagen deutlich über 200 km und noch die 100 km der ersten Nacht hinzu. Das finde ich schon ganz nett. Und nach den gerade mal 2,5 h Dösen in der Bushaltestelle und nach diesem McDonalds-Frühstück hier ging es ja weiter.

Und es würde nicht zu knapp weitergehen. Vorgeplante 150 km noch bis zu CP3. Aber jetzt kamen noch richtige Höhenmeter hinzu!

Über die Tatra

Das Klettern beginnt erst nach rund 80 Kilometern. Bis dahin ist es eigentlich noch flach und gut und geschwind zu fahren. Auch wenn das Höhenprofil zeigt: Ganz langsam und allmählich geht es nach oben. Bis hinter die größere Stadt Banská läuft es flüssig und nach Plan. Ich fliege auch an einem weiteren, mir bis dahin unbekannten TCR-Teilnehmer vorbei. Hinter Banská biege ich im Industriegebiet rechts ab und will auf die Straße einbiegen, auf der mich meine Route weiterführen soll. Bereits auf der Brücke sehe ich: oh oh, das wird nicht gehen. Da darf ich nicht drauf und da will ich auch nicht drauf. Das sieht doch sehr Autobahnmäßig aus und ist für Radfahrer auch verboten. Hmm, Komoot hatte das nicht so dargestellt. Und auch meine Prüfchecks per Google Streetview – wie sieht denn so jeweils die Straße aus, mehrspurig ausgebaut oder normal usw. – hatten mir für die Straße weiter östlich grünes Licht gegeben. Es war auch buchstäblich die einzige Straßenverbindung, die von Banská aus ostwärts in das Tal führte, in dem meine Route weiter verlief. Ähhh. WTF! Eine Straße in eine Kraftfahrstraße übergehen zu lassen, ist ja das eine. Aber gar keine andere Verbindung zu haben!?. Wieder zurück über die Brücke und der Industriegebietsstraße weiter gefolgt. Nope – führt einen Kilometer weiter auf genau dieselbe Kraftfahrstraße… Diese Erfahrung hatten auch Danni und Guillermo gemacht, die mir schon auf der Brücke und jetzt auch wieder entgegen kamen… Wie sie letztendlich gefahren sind, weiss ich nicht. Ich bin wieder über die Brücke und auf der anderen Seite schließlich auf einen Dammpfad entlang des Flusses ausgewichen. Komplett unbefestigt. Aber legal und safe!

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Bleibt trotz ausführlichster Routenplanung nicht aus. Durch’s Gelände…

Wenige Kilometer weiter kam ich wieder auf normal asphaltierte Nebenstraßen und konnte meiner Route wieder folgen.
Hinter Podbrezová wechsele ich auf die Straße Nummer 72. Jetzt geht es wirklich hinauf und über die niedere Tatra.

Es ist der Pass Čertovica. Er verbindet das obere Tals des Hron aus dem ich gerade komme mit dem Tal der Waag auf der Nordseite (die Region Liptau). Wikipedia weiss, dass er abgesehen von den Randpässen in Donovaly und bei Vernár der einzige befahrbare Pass im Hauptkamm der Niederen Tatra und zugleich der höchste befahrbare Pass in der Slowakei ist.

Und der sich zieht wie Kaugummi. Während des Aufstiegs fahre ich die ganze Zeit im G1 Bereich, es fühlt sich aber so an, als würde ich richtig Druck geben. Relativ gesehen mag das auch so gewesen sein. Jedenfalls fahre ich im Verlaufe des Passes gerade in der oberen Hälfte auf diverse Einzel- und Duo-TCR-Teilnehmer auf und überhole sie. In meiner Erwartungshaltung hatte ich mir den Pass kürzer, das Erreichen der Passhöhe schneller vorgestellt. Vielleicht konnte ich den Anstieg deswegen nicht so ganz genießen. Und ich war ja auch vom Kontrollschluss getrieben. Was mir gerade hier das erste Mal aufgefallen war, dass auch die slowakischen Autofahrer – zumindest in der Tatra – in hohem Maße ziemliche Arschlöcher (ich muss es so drastisch schreiben, der slowakische Botschafter kann sich ja gerne bei mir melden) zu sein schienen. Da wurde kaum Abstand gewährt und gnadenlos bei Gegenverkehr überholt ohne auch nur mal den Versuch zu machen, vielleicht 1 Sekunde zu Verzögern, um mit Abstand überholen zu können… So schlimm und noch viel schlimmer habe ich das nur noch in Rumänien kennengelernt. Doch dazu später mehr. Hier waren nicht alle Autofahrer so, aber doch ein erschreckend hoher Anteil des glücklicherweise nicht sehr stark frequentierten Passes.

Schließlich war dann doch die Passhöhe auf rund 1240 m NN erreicht. Knappe 100 km nach meinem morgendlichen Start. Dort gab es zwei Gasthäuser. Draußen wurde Gulaschsuppe gegessen. Wäre ob der Witterung gar nicht so verkehrt gewesen. Es war bedeckt und recht frisch. Ich wollte mich aber nicht lange aufhalten. Ich weiss es nicht mehr ganz genau, aber irgendwelche Sandwiches und mal wieder Cola und Fanta wurden begierig aufgenommen, dann ging es sofort weiter in die Abfahrt. Die hatte Spaß gemacht. Danach befand ich mich in der relativ weitläufigen Niederung zwischen der niederen und der hohen Tatra. Dennoch fanden sich genug ermüdende weitere Anstiege in ihr. Ich hatte gehofft, unterwegs noch irgendwo eine Tankstelle für eine Zwischenverpflegung zu finden. So sehr ich aber auch Ausschau hielt – auf meiner Route war nichts. Nun denn, bald war ich weit genug nach Osten gefahren, jetzt ging es in die ersten Anstiegsmeter Richtung Straße Nr. 537. Diese läuft entlang des Fußes der hohen Tatra. Diese zu erreichen, war nochmal ein Stück Arbeit. Und wenig später begann dann die richtige und finale Plackerei. Der Parcours hoch zu Sliezsky Dom, hoch zum CP3!

Ich mag ja so kleine Sträßlein in den Wald hinein. Aber das hier hatte es (erwartungsgemäß) richtig in sich. Ich klettere ja gerne und vielleicht gar nicht soo schlecht mit dem Rad. Viele andere Teilnehmer hat dieser Abschnitt nochmal an den Rand der Verzweiflung gebracht. Und gerade, wenn man versucht, noch in den letzten Minuten vor Kontrollschluss den Kontrollpunkt zu erreichen… Übel, übel. Ich selbst war noch gut in der Zeit und hatte keine Sorge, rechtzeitig oben anzukommen. Sorgte mich mehr darum, ob es jetzt schon anfangen würde zu regnen und dass ich leider kaum Aussicht genießen können würde. Aber auch für mich war das ein verdammt hartes Stück Arbeit. 54 Minuten brauche ich für das 6,7 km lange Stück mit Steigungen bis an die 16 %. In weiten Teilen war die Straße ziemlich zu klump gefahren, was schon beim Auffahren etwas störte. Beim Herunterfahren war es richtig fies!

Aber, Hurra! Um 15:34 Uhr und damit eine knappe halbe Stunde vor Kontrollschluss stehe ich auf der Eingangstreppe des Hotels Sliezky Dom, wo die Volunteers ihr Tischlein aufgebaut haben. 160 km sind es dann dank der einen oder anderen Umfahrung doch noch geworden – 150 hatte meine Route gesagt.

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Yess – CP3 reached in time and Brevet Card stamped!

So kurz vor Kontrollschluss läuft gerade ein live Webcast, der per Handy aufgezeichnet und übertragen wird. Kurze Interviews und Lageberichte werden gegeben. Großes Hallo natürlich wieder mit den Volunteers und den bereits vor Ort befindlichen und den weiterhin ankommenden Teilnehmern. Großes Mitfiebern, wer es noch innerhalb des Kontrollschlusses schaffen wird.

Leider hat Kinesis den Webcast nur auf facebook und nicht etwa auch auf Youtube gepostet. Daher hier ausnahmsweise mal ein Direktlink nach facebook. Ich hoffe, ihr könnt ihm folgen: https://www.facebook.com/KinesisUK/videos/1682364775116316/

Da seht ihr mich auch fast die ganze Zeit irgendwo rumstehen, auch mal kurz was sagen und im Grunde warten wir alle die letzten 20 Minuten bis zum Kontrollschluss ab. Und das Wetter ist total ungemütlich, wie ihr im Video sehen könnt. Ich habe mit dem folgenden Foto wohl den einzigen blauen Himmelsfleck der ganzen Zeit einfangen können:

Velické pleso
Wenig drin im kleinen See am Horský hotel Sliezsky dom

Denn wie gesagt, das Wetter ist sehr bescheiden hier oben. Ab und an droht es zu regnen. Es wird im Verlaufe meines Aufenthalts dort oben nicht beim Drohen bleiben. Es geht ein kalter Wind. Es ist komplett bedeckt. Brrr. Ich mache nach einer Weile doch wenigstens ein paar Fotos hier oben, bevor ich mich in’s Hotel verziehe, um etwas Warmes zu mir zu nehmen.

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Am Control Point 3

Manche Teilnehmer haben hier ein Zimmer gebucht. Obgleich das Hotel jetzt nicht das preisgünstigste ist. Ich hatte im Vorfeld auch überlegt. Mir dann aber gesagt, dass ich lieber noch weiter fahren will und nicht die Nacht oben im Nirgendwo verbringen wollte. Bei dem Regen, der später anfangen sollte, tat mir das dann doch etwas leid. Aber egal – ich war jetzt erstmal am Teilziel, dass ich quasi konstant die letzten drei Tage verfolgt hatte. Jetzt war erst mal ausruhen angesagt. Deswegen wollte ich auch nicht sofort weiter. Das wäre Blöd gewesen, wo man doch jetzt nach über einer Woche mit vielen Teilnehmern zusammensitzen konnte.

Grace war da – obgleich sie schon in Österreich gescratcht hatte und volunteerte quasi am CP mit. Mit dem Bruderpaar Dani und Guillermo konnte ich jetzt endlich nochmal sprechen. Silviu aus Rumänien – ihn hatte ich ja vor CP2 schon einmal getroffen. Auch Lea, Cap Nummer 40, lerne ich dort kurz kennen und noch ein paar mehr.

Um das alles auf mich aufzunehmen: Kontrollschluss-Buzz, Hotel, Kaffee und Kuchen, noch ein Kaffee und noch ein Kuchen und um dann schließlich die Stärke aufzubringen, eine halbwegs trockene Phase für die Abfahrt zu finden und mich vorher auch erstmals in meine Neopren-Handschuhe (und anderen Kram wie z.B. Beinlinge) zu zwängen, vergehen fast drei Stunden! Unter normalen Gesichtspunkten viel zu lang. Schließlich ist es ein Rennen und der nächste Kontrollschluss ist auch knapp! Aber… wie gesagt – etwas Pause und etwas Socializing waren mir wichtig und ich hatte ohnehin schon am Nachmittag das nur 20 km entfernte Poprad als Ort für die Nachtunterkunft ausgewählt und dort ein Hotel bzw. eine Pension vorgebucht. Hotel Mery hies diese und da wollte ich jetzt hin.

Ab nach Poprad

Dazu musste ich aber erst einmal von diesem Berg hinunter. Seit ich das J.Guillem Orient habe, bin ich von hydraulischen Scheibenbremsen am Rennrad positiv überzeugt. An meinem Crossrad habe ich ja schon seit ein paar Jahren die hydraulische Ultegra mit Scheibenbremsen. Da hat mich diese Schaltung (naja, tut halt ihren Zweck hat mich aber auch zweimal schmälich im Stich gelassen) und vor allem die hydraulische Scheibenbremse nicht überzeugt. Bremsleistung so gerade ok, nicht berühmt und super quietsch – nein, geradezu kreisch-anfällig! Egal was ich versucht hatte, egal welche Beläge.

Lustigerweise funktionierte die gleiche Ultegra Scheibenbremse am J.Guillem tadellos und war super zu bedienen. Ohne Quietschtendenz… Und seitdem ich die schon von Anfang an vorgesehene hydraulische Scheibenbremse von Sram in Form der Red eTap HRD montiert habe… Super! Und wenn die hydraulische Scheibenbremse bis dato vielleicht nur nice to have war – hier und jetzt spielt sie alle ihre Vorteile aus und ich bin superglücklich, sie zu besitzen.

Die Straße ist nass, sie ist schmierig, in Teilen ist von ihrem Oberbau nichts mehr vorhanden und es geht in engen Serpentinen und sehr steil bergab. Dazu ist mein Rad mit allem Beladen, was man als Bikepacker halt so dabei hat. Und trotzdem kann ich mich mit geringen Fingerkräften und immer kontrollierter Bremswirkung nach unten bremsen. Sehr prima – trotzdem eine ziemliche Plackerei. Weiter in Richtung Poprad fängt es richtig zu Regnen an. In der Stadt fahre ich auf meiner Route zum Hotel trotzdem noch einen großen Supermarkt an. Ich besuche zum ersten Mal einen Tesco-Markt und das Ding ist riesig. Weil es noch verhältnismäßig früh am Abend ist und meine Unterkunft nur eine Frühstückspension ist, kaufe ich quasi eine ganze Plastiktüte und meine Musette voll mit Krams. Ein Bier zur Belohnung, Cola, Fanta, Mineralwasser, Chips und noch so Zeugs. Damit mache ich mich dann schwer beladen auf den restlichen Weg durch die Stadt zum Hotel.

Das Zimmer ist ok. Fön gibt’s leider keinen, so dass ich die Schuhe erst mit Toillettenpapier ausstopfe und später am Abend nach Duschen und Essen geschickt in die Badezimmerheizung quetsche, so dass sie trocknen können.

186,1 km waren es für heute. 2871 Höhenmeter. Vor allem durch den sehr langen Aufenthalt an CP3, aber auch dem wieder inkludierten Frühstück und dem Einkauf im Tesco (eines meiner Hobbys ist übrigens durch große, mir ungekannte Supermärkte im Ausland schlendern und schauen, was es da so alles gibt) leider heute auch wieder eine sehr schlechte Pausenquote von ganzen 33,7 % Pausenanteil an der Fahrtzeit. Fahrtzeit: 8.83 Stunden im Vergleich zur Gesamtaktivitätsdauer von 13,32 Stunden. Berechtigte Selbstkritik, aber dennoch für mich erst mal eine tolle, so noch nie gebrachte Leistung: Mit den 2,5 Stunden Bushaltestellendösen ganze 534 km hintereinander weg. Darauf, und dass ich den CP 3 in der Zeit erreicht habe, bin ich erst mal Stolz und mit mir sehr zufrieden und lasse mich erst mal in die Nacht sinken. Ich freue mich schon auf das Frühstück am nächsten Morgen. Was ich da am Abend gezeigt bekommen habe, lässt Großes hoffen. :)

Die Strava-Links der vier Stints von CP2 bis CP3:

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TCRNo5 Stint 7, Pt. 1: (manuell gerettet) Hitze saugen Watt
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TCRNo5 Stint 7, Pt. 2: Hitze saugen Watt
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TCRNo5 Stint 8: Time Trialing through Austria and then stopped by thunderstorm
StravaScreenie_Stint09
TCRNo5 Stint 9: Distanz machen (aus Österreich in die Slowakei)
StravaScreenie_Stint10
TCRNo5 Stint 10: Push through the Tatra to CP 3

Großes steht aber auch noch bevor! Meine bisherige Gesamtdistanz beträgt runde 2.200 km! Da sind rechnerisch noch runde 1.700 km offen. Vom Rest meines Abenteuers erfahrt ihr im nächsten Teil.

Bald können wir hoffentlich die Veröffentlichung der Ausschreibung für das TCRno6 erwarten. Ich fiebere quasi schon darauf hin und werde mich wieder bewerben! Und ihr?

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2 Kommentare

  1. …respekt, respekt. Was für ein endspurt zum CP3! Es war ne punktlandung nach maß. Toll finde ich, dass du dich nicht selbst verrückt gemacht hast und auch immer wieder dir zeit genommen hast um dieses event in bildern festzuhalten!

    1. Ja Uli, wat mut dat mut. Dabei habe ich nur sehr begrenzt Fotos gemacht. Aber im Rückblick stelle ich fest: ja, für die Bebilderung der wesentlichen Stationen reicht es mehr als aus. :) Und es ist ein unersetzliches und wertvolles Werkzeug für die Erinnerung. Ohne Fotos wüsste ich jetzt gar nicht mehr, was ich da so alles gegessen habe… :)

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