Touren & Events

Meine Maratona dles Dolomites 2013 – Von Stürzen, Wetterkapriolen, Hungerästen und mal wieder einem wunderschönen Tag in den Dolomiten

Vorweg: warum meine? Kein Druckfehler – im ladinischen ist die Maratona weiblich, also ist es die Maratona dles Dolomites. :)

# Schrecksekunde

Aber diese meine ganz persönliche Maratona-Teilnahme stand 12 Tage davor von einer Sekunde auf die andere plötzlich auf der Kippe. Ein Sturz (mein erster heftiger Sturz mit dem Rennrad) am Mittwochabend 2 Wochen vor der Maratona und 5 Tage vor meinem Urlaubsantritt für die Dolomitenwoche brachte mich dem Asphalt bei 30 km/h sehr unsanft auf Hautkontakt nahe.

Gott sei Dank ging es noch vergleichsweise glimpflich für Mensch und Material ab. Einerseits. Andererseits hatte es neben kleineren Abschürfungen und Prellungen auch die Schulter und das Fußgelenk mit Prellungen erwischt. Interessanterweise hat bei den Klamotten nur ein Socken gelitten und am Rad nur der Umwerfer, der Sattel und die Bremsgriffgummis (samt etwas Lenkerband). Ich konnte notgedrungen auch noch nach Hause radeln (nachdem meine Begleiter beide Reifen geflickt hatten – beide Schläuche verabschiedeten sich nach dem Sturz auf spektakuläre Weise), aber am nächsten Tag ging erst mal nichts bei mir.

So sah also mein Tapering aus. Keine geordnete Rückführung des Trainingsumfangs, keine Pässetouren mit dem Rennrad in den Dolomiten am Anfang der Urlaubswoche, sondern von 30 auf 0: No Sports please…

Ich hätte alleine schon aufgrund des geschwollenen Knöchels keine Radschuhe anbekommen…

Naja, am Abend nach dem Sturz hatte ich schon an il Diavolo gemailt, ob sie ein Schaltauge für mein Wilier Triestina GranTurismo auf Lager hätten und mir entweder zuschicken könnten oder noch einen Termin für eine Blitzreparatur am Freitag einrichten könnten. Letzteres konnten sie und so wurde mein Rad noch am Freitag nachmittag Tipptopp wieder hergerichtet: neues Schaltauge, Inspektion, neue Kette (nach 14.100 km Laufleistung ein verdienter, aber auch erst jetzt richtig notwendig gewordener Austausch – tolle Sache, Campa) und neuer Sattel. Nur Bremsgriffgummis hatten sie leider keine da.

In der Nähe von Livinallongo auf dem Weg zum Passo Giau

# Die Anreise und die Woche vor der Maratona

Und so fuhr ich mit Sack und Pack, dickem Knöchel, schmerzender Schulter und Co am Montag gen Abtei im Gadertal. Ich hatte, wie auch schon im letzten Jahr, ein Holimites Aufenthaltspaket über 7 Tage gebucht. Das ist auch dringend notwendig, will man sich nicht dem Losglück auf die zu Recht begehrten Teilnehmerplätze ergeben. Denn auch in diesem Jahr gab es wieder einen neuen Rekord: 31.600 Anträge auf Teilnahme gab es auf die 9000 Starterplätze.

Aber auch das Ergattern eines solchen Paketes ist nicht gerade einfach. Um in einen Buchungsslot des Systems zu kommen, muss man den Reload-Button des Browsers schon ziemlich glühen lassen. Und dann auch recht schnell unter den dann noch verfügbaren Optionen wählen.

Hatte ich im letzten Jahr eine Pension in Corvara, was sich als optimal in Bezug auf Startort und vor allem Ziel (nämlich Corvara) darstellt, so war ich diesmal in Ciaminades, kurz hinter Badia, oder Abtei. Auch sehr schick und mit dem Vorteil, dass das Expogelände und die Anmeldung fußläufig erreichbar war. Dafür aber mit etwas mehr logistischem Aufwand als Einzelstarter hinsichtlich Zielankunft, Duschen, Gutscheineinlösung in der Eishalle am Ziel etc. versehen.

Egal – die Gastleute waren sehr nett, wie üblich war fast die gesamte Gästeschar nur wegen der Maratona da, das Frühstück und das Abendessen gut (nicht herausragend, aber gut) und es gab WiFi. ;-)

Das Wetter war in der Woche leider nicht vom Besten und führte damit die Misere des Frühjahrs (und auch des langen Winters) fort. Während es morgens oft sonnig bis heiter war, zog es sich gegen Mittag sehr oft zu. Erst abends wurde es dann meist wieder etwas besser. Und kalt war es. Ich frug mich echt, was für ein Urlaub ich da mache. Ein Sommerurlaub war es ganz bestimmt nicht. Einen Herbsturlaub stellt man sich auch anders vor: mit leuchtendem Laub und Fernsicht. Winter-Urlaub? Schnee dafür war an diversen Tagen und bis in Lagen von 1600 Metern da. D.h. dass fast alle Passhöhen davon betroffen waren…

Am Dienstag fuhr ich nur mit dem Auto die Strecke der Maratona ab. Erstens, um nicht viel Laufen zu müssen und zweitens weil ich mir den Passo di Giau mal näher ohne Rennrad betrachten und ein paar Fotos von ihm machen wollte. Hier spielte das Wetter bis in den frühen Nachmittag hinein noch gut mit. Aber der kalte Wind war echt nicht von schlechten Eltern. Gemessene 7 Grad Celsius auf dem Giau und auf dem Valparolo – und dann noch mal der Windchill dazu…

Kehre 23 des Passo Giau. Schon fast oben. Noch ist das Wetter sonnig.
Kehre 23 des Passo Giau. Schon fast oben. Noch ist das Wetter sonnig.
Die oberen Kehren des Giau vor der Passhöhe.
Die oberen Kehren des Giau vor der Passhöhe.

Am Mittwoch dachte ich mir: Gut, wenn der Knöchel sich ohnehin erholen soll, das Wetter nicht all zu berauschend ist und ich ohnehin noch ein paar Arbeitsdinge zu erledigen habe – dann setze ich mich in ein Rifugio und arbeite auf dem MacBook. Da ich bisher noch nie den Pordoi ganz herab bis ins Fassatal befahren hatte, verband ich das mit einer Fahrt nach Campitello di Fassa um von dort per Seilbahn zum Col Rodella zu fahren. Später fotografierte ich noch etwas dort oben. Unter anderem entstand da dieses Foto vom Passo Pordoi:

Passo Pordoi, Schnee im Juni
Passo Pordoi, Schnee im Juni

Am Mittwoch ging’s dem Fußgelenk schon wieder vergleichsweise gut. Auch wenn sich jetzt erst alle möglichen Farben zeigten und ich auch ganz neue blaue Flecken an den Oberschenkeln entdeckte war ich für Donnerstag guten Mutes. Da wollte ich mich zum ersten mal wieder auf das Rad setzen und schauen, ob’s wieder geht, wie der Bewegungsumfang aussieht oder ob irgendetwas ganz hakt.
Aber es hat alles geklappt. Selbst das Wetter war am Vormittag sehr angenehm. Ich bin aber erst mal nur das Gadertal hinab gefahren. Immerhin aber bis Zwischenwasser und dort dann etwas Richtung Furkelpass aufwärts.

Eine Heuhütte nahe der Straße durch das Alta Badia kurz vor der Ortschaft Badia / Abtei. Im Hintergrund liegt Sankt Leonhard unterhalb des Kreuzkofels
Eine Heuhütte nahe der Straße durch das Alta Badia kurz vor der Ortschaft Badia / Abtei. Im Hintergrund liegt Sankt Leonhard unterhalb des Kreuzkofels

Ich wollte aber nicht zu viel machen und evtl. weitere Heilung verzögern oder zunichte machen und so bin ich ohne viel Druck auch recht bald wieder umgekehrt und zurück in meine Pension gefahren. Immerhin rd 45 km Genußradeln im Alta Badia und die Erleichterung, dass ich am Sonntag an der Maratona würde teilnehmen können. Auch wenn ich noch nicht wirklich flüssig gehen konnte und wollte und auch das ausklicken des Pedals keine besonders tolle Bewegung war.

Ach ja – ich bin auch noch locker weiter hoch von Badia zur Liftstation bei La Villa gefahren, um zu testen, wie lange ich am Maratona-Morgen ich dorthin benötigen würde. 12 sehr lockere Minuten mit kurzem Schaufensterbummel am Bikeladen ortseingangs von La Villa.

Nach der Rückkehr hab‘ ich mich erst ein mal auf eine Bank vor der Pension gesetzt und windgeschützt die Sonne genossen, danach dann den Nachmittag geruhsam mit etwas Bildbearbeitung und anderen Tätigkeiten verbracht. Hierzu suchte ich mir noch ein schönes ruhiges Café, welches ich auch am Ortseingang von Badia (vom Tal kommend) fand.

Für den Freitag waren bis Mittags ausgiebige Regenfälle vorausgesagt (und eine Schneefallgrenze von 1800 m – also Schnee auf allen Pässen… Ich vertraute allerdings auf den Wetterbericht für Sonntag, der trotz allem wieder leicht wärmere Temperaturen und Sonne versprach und legte am Vormittag ungerührt eine konzentrierte Arbeitssession im Gastraum der Pension ein. Hmmm – Urlaub ohne Rennrad fahren, ohne Wandern, ohne Sommer und ab und an auch ohne Urlaub… Jung (ok, hüstel), dynamisch und äh… bekloppt? ;-)

Naja, war auf jeden Fall sehr entspannend für das Fußgelenk und sehr förderlich für das Trockenbleiben der Kleidung… Nachdem dann auch nach Mittag der Regen aufhörte, machte ich mich auf, um die Startunterlagen abzuholen und dem Expogelände einen Besuch abzustatten. Wie ich schon schrieb, ging das sehr bequem fußläufig. Ob es am Wetter lag oder woran auch immer, heuer war die Schlange aber besonders lang…

Ziemlich genau eine Stunde habe ich gebraucht, um meinen Starterbeutel in Empfang nehmen zu können. Drinnen die üblichen Goodies wie ein Enervit-Bidon, ein Probeenergieriegel (waren da im letzten Jahr nicht mehr Pröbchen drin?), wieder solche komischen Gartenarbeitshandschuhe (mir zu groß, aber ich habe tatsächlich am Sonntag mindestens zwei Leute gesehen, die diese während des Maratona trugen… Wahrscheinlich waren die froh, überhaupt irgendwelcher Langfingerhandschuhe habhaft werden zu können… ;-), wieder eine Piccolo-Flasche Maschio-Sekt, etwas Konfekt, bisschen Werbedruckzeug und natürlich das Teilnehmer-Trikot und Startnummern. An einem weiteren Stand holte ich dann noch die zum Holimites-Paket gehörige passende Teilnehmer-Hose ab und konnte mich dann der Expo widmen.

Großes Lob an die Organisation, die ich überhaupt auch dieses Jahr wieder von der besten Seite kennengelernt habe – alles läuft koordiniert und mit großer Erfahrung ab. Und wo gibt es schon solchen Service, dass während der ganzen Woche vor dem Ereignis im Zielbereich ein kostenloses WiFi-Netz aufgebaut wird? Dieses Jahr wurde es sogar auf das Expogelände ausgeweitet, so dass man auch beim Schlange stehen für die Startunterlagen Mails, Twitter, Wetterbericht und Co checken konnte. Klasse!

Samstag: Unter normalen Umständen sollte man ja am Vortag eine kurze Runde zum Beine lockern fahren, dann mal ein paar Intervalle einstreuen und sich dann auf das kommende Rennen freuen. Letzteres habe ich auch gemacht. Und die Beine habe ich nicht locker gefahren, ich habe sie locker baumeln lassen. Und zwar auf dem Sessellift von Badia hoch zur Mittelstation unterhalb des Heiligkreuzkofels. Da bin ich dann locker etwas langspaziert. Auf einem kleinen Weg zum Seelein Le.

Le See
Le See

Hier sollte man gegen Abend sein, da könnte man die in der Abendsonne leuchtende Wand des Kreuzkofels noch in die eine oder andere  Fotokomposition integrieren. Im teilweisen Mittagsgegenlicht, schon zunehmend durch den zuziehenden Himmel der Strahlkraft beraubt, fand ich das nicht so fotogen. Weiter ging es im Bogen ansteigend hoch zur Wallfahrtskirche und dem Schutzhaus Heilig Kreuz, bzw. La Crusc. Omelette mit Preiselbeeren ist zwar sicher nicht das ideale Carboloading Food – aber Apfelkuchen war aus und sehr lecker war es trotzdem :) Mit einem Cappuccino windgeschützt vor der Glockenturmtür sitzend machte selbst einsetzendes Tröpfeln der gemütlichen Stimmung keinen Abbruch.

Auf der anderen Seite des Tals wurde der Blick auf die Puezgruppe zunehmend durch die tiefhängenden Wolken verschleiert. Die Schneeladung des vergangenen Tages war aber eindrucksvoll zu sehen.

Schneebedeckte Almen der Puezgruppe in den Wolken
Schneebedeckte Almen der Puezgruppe in den Wolken
Sassongher in den Wolken
Sassongher in den Wolken

Ich setzte mein Beinbaumel-Training verschärft fort, indem ich für die Abfahrt jetzt schon direkt den 2er-Sessellift vom Heilig Kreuz Schutzhaus zur Mittelstation und von dort den 4er Sessellift hinab ins Tal nutzte. Gut, das Letzterer eine Kunststoffhaube hatte. Wind und Tröpfeln wären sonst doch unangenehm gewesen. Bald hörte das Tröpfeln auf und unten angekommen schlenderte ich nochmal über die Expo. Sehr schade, dass Pinarello ein Sponsor der Maratona ist. Nichts gegen das Sponsoring, aber ich würde mir halt anstelle von Pinarellos viel lieber Colnago, Bianchi, De Rosa oder Wilier Triestina Räder anschauen. Naja, dafür gab es z.B. einen schönen Campagnolo-Stand mit allen Gruppen, Testbikes mit EPS auf Ergotrainern, Laufräder von Campa und Fulcrum. Oder der Stand, wo die lecker locker luftigen Kuchenstücke gratis zur Probe gereicht wurden. Oder der Stand von Selle Italia, wo ich mir deren ID Match System für die Sattelauswahl erklären und auch eine Messung durchführen lies. Ergebnis: Ich würde optimalerweise Selle Italias Sättel der Gruppe S3 benötigen. Aha, schmal, aber mit Aussparung. So einen Sattel hatte ich noch nie. Mal schauen, ob ich irgendwann mal einen teste…

# Sonntag, Renntag! :)

Yay, der Höhepunkt auf den ganz Alta Badia samt allen Gästen, die gefühlt aus 99 % Rennradfahrern und -fahrerinnen bestehen, die ganze Woche gewartet hat.

Leider hat so ein Gebirgsmarathon die unangenehme Eigenschaft, schon verdammt früh zu starten…

Natürlich wurde das Rad schon am Vortag hergerichtet. Unverabredet findet sich die ganze Belegschaft der Pension im Radkeller ein, prüft noch einmal den Reifendruck, poliert hingebungsvoll das Rad, als ob es 10tel Sekunden aus dem Windwiederstand herauszuholen gilt, ölt vielleicht noch die Kette, prüft die Schaltung… Nun gut, wer alles das wirklich macht, da frage ich mich, mit was für einem Radzustand ist der in der gerade zu Ende gegangenen Woche hier herum gefahren…  Meine Tätigkeit beschränkte sich daher auf das Sauberwischen mit Babyfeuchttüchern (Style und Bling Bling!) und das Anbringen der Startnummer samt Transponder. Danach ging’s zum Abendessen und danach wurde die Ausrüstung für das morgendliche Ankleiden bereit gelegt.

Hier galt es zu entscheiden: Wie kalt wird es nun wirklich werden? Langarmjersey oder Trikot mit Armlingen? Gar die Softshell? 3/4 Tights oder Bibshorts mit den Castelli Nanoflex Knielingen? Die „Sommer“ Langfinger-Handschuhe oder die etwas dickeren Übergangszeit-Langfinger-Handschuhe? Ihr seht schon – ich war Ausrüstungstechnisch wirklich auf alles vorbereitet. Soviel war wettertechnisch schon vor der Dolomitenwoche absehbar gewesen.

Ich entschied mich für ein Langarmjersey, eine Campagnolo-Thermoweste (dickes, innen leicht angerautes Material, durchgehender Rücken, der auch etwas Regen aushalten würde), Bibshorts, Knielinge, dünne Neopren-Überzieher für die Schuhe und in die Rückentasche bzw. für ganz kühle Abfahrten und das Warten in der Startaufstellung noch eine dünne Vaude-Windjacke. Dazu die Sommer-Langfingerhandschuhe und eine Cap unter den Helm. Und, um es vorwegzunehmen – das war für mich optimal.

All dies bereitgelegt, war es auch schon Zeit, ins Bett zu gehen, denn der Wecker würde schon um 10 vor 5 klingeln, ächz!

Das tat er dann auch. Aufstehen, ins Bad, Radklamotten anziehen, Rückentaschen der Weste mit einem Gel, 3 Riegeln, einem Carbo-Preload-Jelly, natürlich der Kamera, meiner Sony RX100 (never leave Home without it), Handy und Luftpumpe beladen und runter zum Frühstück. Da schnell ein Brötchen geschmiert, gegessen, etwas Müsli genommen und fix noch so ein Minibrötchen für das Essen in der Startaufstellung vorbereitet und eingesteckt und ab in den Radkeller.

5:45 Uhr. Uff ist das Kalt. Einklicken und Richtung Startaufstellung losgefahren… Um 6:30 wird der Start erfolgen, um 6:10 werden die Straßen aus Richtung Corvara gesperrt werden (was mich aus Badia kommend nicht betrifft), spätestens um 6 Uhr sollte man in seinem Startblock sein, will man dort nicht komplett am Ende herumhängen. Von allen Hotels, aus allen Seitenstraßen kommen die Teilnehmer, radeln locker zur Startaufstellung. Der Himmel ist klar, erste Bergspitzen zeigen sich im goldenen Schimmer ersten Sonnenlichts – wie schon im letzten Jahr eine tolle Stimmung!

Erste Strahlen der Morgensonne kitzeln die Spitze des Sassongher
Erste Strahlen der Morgensonne kitzeln die Spitze des Sassongher

Aber. Es. Ist. Verdammt. Kühl!

Mit der Windjacke noch über dem Langarmjersey und der Weste geht es aber überraschend gut. Ich stehe auch windgeschützt in der geduldig wartenden Masse. :)

Vor mir...
Vor mir…
... und hinter mir im Pinarelle-Startblock
… und hinter mir im Pinarello-Startblock

Und immer noch strömen Teilnehmer zu den Startblöcken…

 Morgensonne auf den Bergen
Morgensonne auf den Bergen

6:25 Uhr. Bald wird der Startschuss erfolgen. Gut, dann wird es aus meinem Startblock noch nicht sofort losgehen, aber bald wird sich die Menge in Bewegung setzten und noch enger Richtung Blockausgang zusammenrücken. Zeit, den Garmin anzuschalten und auch die Windjacke zu verstauen. Jetzt wird es aber doch sehr kalt… Ich erlaube den Muskeln einfach, ihrem Zitteranfall nachzugeben und so etwas Wärme zu erzeugen… Mir hilft’s nicht, aber vielleicht dem Körper? Ich will jetzt unbedingt losfahren…

*Böller!* Wow, _der_ war nicht von schlechten Eltern… Ob die da vom Hubschrauber eine Lawinen-Auslösungs-Böller gezündet haben? Die italienische Lautsprecherstimme jauchzt und passieren tut hier erst mal nichts. ;-) Aber, und das ist bei 9000 Teilnehmern schon enorm, nach nur 10 Minuten geht es tatsächlich los und um 6:44 überquere ich die Startlinie. :)

In einer mir angenehmen Geschwindigkeit rolle ich ein, nehme Fahrt auf, überhole dabei nicht schnell, aber doch fortwährend Teilnehmer um Teilnehmer (keine Sorge, so werde ich trotzdem nicht in die vorderen Ränge vorstoßen, dafür gibt es ausreichend Teilnehmer) und so geht das durch Corvara und auch die ersten Pässe, eigentlich fortwährend über die Sella Ronda hindurch.

Ich halte mich eigentlich immer links auf der, vergleichsweisen, schnelleren Spur auf. Aber auch dort kann man die ersten beiden Pässe nicht voll durchziehen (aber das will ich auch gar nicht), sondern muss seine Lücken suchen bzw. kann eigentlich immer moderat leicht schneller als die Teilnehmer rechts neben einem Fahren. Fand ich sehr angenehm und konnte auch durchaus mein Tempo fahren. Ja, gerade am ersten Pass, dem Campolongo, muss man schon etwas aufpassen, aufmerksam fahren und es kann da auch durchaus schon mal zu Stockungen kommen. Sei es, weil eine Kurve vielleicht besonders eng ist oder weil ein leichter Gradientenwechsel jemand doch unvorbereitet erwischt und er plötzlich in seiner Schaltung rumrührt. Erfahrung im Feld ist hier definitiv nicht fehl am Platz. Trotzdem empfand ich die Stimmung als sehr kooperativ und überhaupt nicht verbissen und oder verärgert. Das soll’s ja schon mal geben, bei anderen Rennen oder unter den gerade nicht guten, sich dafür aber haltenden Rennradlern, die dann meinen, dass sie von den anderen ja nur in der Entfaltung ihrer eigenen Leistung gehindert würden… Hier eigentlich gar nicht. Und wie auch, bei einer solch atemberaubenden und wunderbaren Umgebung!?

Der erste Anstieg zum Campolongo. Blick zurück über Corvara und auf den Sassongher.
Der erste Anstieg zum Campolongo. Blick zurück über Corvara und auf den Sassongher.

Harmonie war das diesjährige Motto der Maratona. Und in Harmonie mit der Natur, den Bergen, der Strecke, seinem Rennrad und sich fühlen – dazu hat man auf der langen Strecke wunderbare 138 km lang Gelegenheit! Herrlich.

Nach dem Campolongo geht es in die Abfahrt nach Arraba und im Ortskern geht’s dann scharf rechts in den Anstieg zum Pordoi. Die Strecke kennend, gehe ich schon früh in den richtigen Gang und halte mich wieder links. Und richtig, wie erwartet ist allenortens mächtiges Krachen der Schaltungen und Kettenrasseln von unbedarften und gefährlichen „Touristen“, hinter denen ich nicht kalt erwischt werden möchte, weil sie plötzlich mitten oder wenigstens am Rand stehen bleiben. Entweder, weil sie sich voll verschaltet haben, die Kette runtergesprungen ist oder sie natürlich mitten im Abzweig und im tiefsten Punkt sofort ihre Jacke ablegen wollen… Zwar ein wenig harmonischer Gedanke, dafür einer, der einem auf dem Rad und in Bewegung hält… ;-)

Der Sellastock und das saftige Grün der Hänge des Passo Pordoi sind ein fabelhafter Anblick in der Morgensonne. Ich will nicht wirklich wissen, wieviel Dutzende Teilnehmer mich während der Fotos für dieses Panorama überholt haben... ;-)
Der Sellastock und das saftige Grün der Hänge des Passo Pordoi sind ein fabelhafter Anblick in der Morgensonne. Ich will nicht wirklich wissen, wieviel Dutzende Teilnehmer mich während der Fotos für dieses Panorama überholt haben… ;-)

Auch im Pordoi sind wir alle Zusammen ein riesig langer Lindwurm, der sich die zahlreichen Kehren soweit das Auge reicht der Passhöhe entgegen windet. Ich finde das Toll! Man hat immer etwas neben der Landschaft zu schauen, kann später sehen, dass man nicht alleine leidet, kann das Gefühl der gemeinsamen Leistung teilen, obwohl vergleichsweise wenig geredet wird. Viel später, am Giau, wird es komplett ruhig sein.

Der Passo Pordoi und der Blick gen Passhöhe.
Der Passo Pordoi und der Blick gen Passhöhe.

Auch auf der Pordoi-Passhöhe fahre ich durch. Nehme weder Verpflegung auf, noch ziehe ich meine Windjacke über. Die Abfahrten sind kühl, aber noch ok in meiner Kluft. Ich schliesse nur den für die Auffahrt geöffneten Reisverschluss von Weste und Jersey. Bald schon geht es in den nächsten Anstieg, auf zum Sellajoch. Aus dem noch im Schatten liegenden Wald überragt uns dabei eindrucksvoll der Sellastock.

Der Sellastock.
Der Sellastock.

Oben auf dem Sellajoch angekommen, eröffnet sich ein weiter Rundblick über den nahen Langkofel bis über das Grödener Tal und die gegenüberliegende Puez- und Geisler-Gruppe. Die folgende Abfahrt ist aufgrund der Himmelsausrichtung besonders kühl. Kleines Schmankerl: Wir durchqueren einen die Straße überströmenden Bach. Hier haben die Schnee- und Tauwassermengen der zurückliegenden Tage das Gewässer wohl über das Schluckvermögen des Durchlasses anschwellen lassen.

Sellajoch Panorama
Sellajoch Panorama

Meine Beine bedanken sich, als es nach der Abfahrt wieder in den nächsten Anstieg, auf zum Grödner Joch geht. Mein Ächzen wird allerdings gnädig von den – ihr ahnt es – krachenden Schaltungen des einen oder anderen Teilnehmers übertönt… ;-)

Wie am Pordoi und am Sella zwinge ich mir auch nahe der Passhöhe des Grödner Jochs einen Energieriegel hinein. Ich will mich gut ernähren, um ausreichend Energie für die ganzen 4100 Höhenmeter zu haben.

Nach der tollen Abfahrt hinunter nach Corvara merke ich im beginnenden zweiten Anstieg zum Campolongo die Oberschenkel erst mals. Aua, Krampfansatz? An der Stelle? Jetzt schon… ohoh. Bewusst die Pedalierbewegung durchdrückend und zunächst langsam, dann wieder höherfrequent kurbelnd, kann ich das schnell überwinden. Das war bisher allerdings mein einziges Problem und daher war ich schon erleichtert. Das Fußgelenk hielt und ich spürte keinerlei Beeinträchtigung. Meinte aber schon jeweils auf den Passhöhen, dass mir wohl etwas die Pässe- bzw. Höhenakklimatisierung fehlte.

Oben, zum zweiten Mal am Campolongo angekommen, hielt ich wie im lezten Jahr zur ersten Verpflegungsaufnahme. Hier gab es alles, was das Herz begehrt: Brötchen mit Kochschinken- und Käseaufschnitt, gedeckte Aprikosen- oder Preiselbeerkuchen, Obst, Wasser oder Mineral bzw. Iso-Getränk.

Verpflegungsstation auf dem Campolongo Pass.
Verpflegungsstation auf dem Campolongo Pass.

Jetzt folgt die lange Abfahrt, erst steil wieder nach Arraba, dann weniger steil nach Rucava. Hier folgt ein kurzer Gegenanstieg nach Colle Santa Lucia. An dessen Fuße mache ich einen kurzen „Bio-Break“ und wo ich doch schon mal stehe, mache ich auch noch schnell ein Foto ;-)

Die Häuser und die Kirche von Laste Di Sopra, Laste Di Sotto, Val und Davare am Gegenhang des Cordevole-Tals. Kurz hinter dem Abzweig der Route Richtung Colle Santa Lucia.
Die Häuser und die Kirche von Laste Di Sopra, Laste Di Sotto, Val und Davare am Gegenhang des Cordevole-Tals. Kurz hinter dem Abzweig der Route Richtung Colle Santa Lucia.

Weiter geht es zur nächsten Verpflegungsstelle. Sehr schön bei Belvedere di Colle Santa Lucia gelegen.

Kurz oberhalb der Verpflegung bei Belvedere di Colle Santa Lucia.
Kurz oberhalb der Verpflegung bei Belvedere di Colle Santa Lucia.

Wie schön, das weiss ich aber erst seit Anfang meiner diesjährigen Urlaubswoche. Tipp: wer ein kleines bisschen Zeit mitbringt, der sollte etwas über die Verpflegungsstelle hinaus gehen, und hinter der Gaststätte unbedingt den Blick ins Tal genießen.

Das Tal des Cordevole vom Aussichtspunkt Belvedere di Colle Santa Lucia. Ein wunderbares Panroama mit dem Lago Alleghe und der Civetta Gruppe zur Linken. Dieses Panorama hatte ich allerdings bereits am Dienstag aufgenommen.
Das Tal des Cordevole vom Aussichtspunkt Belvedere di Colle Santa Lucia. Ein wunderbares Panroama mit dem Lago Alleghe und der Civetta Gruppe zur Linken. Dieses Panorama hatte ich allerdings bereits am Dienstag aufgenommen.

Während ich obiges Pano bereits am Dienstag aufgenommen hatte, musste ich bei dem tollen Licht am Sonntag aber unbedingt noch mein GranTurismo in Szene setzen. :)

Wilier Triestina GranTurismo vor der Aussicht auf Lago Alleghe und die Civetta-Gruppe.
Wilier Triestina GranTurismo vor der Aussicht auf Lago Alleghe und die Civetta-Gruppe.

Aber jetzt wird es bald ernst. Ein kurzes Stück noch konnte ich mich guten Mutes und guter Beine bis zum Ende der kommenden Abfahrt zum Abzweig nach Selva di Cadore wähnen, doch dann folgte die unerbittliche Wahrheit des Passo Giau. 9,9 km mit 922 Höhenmeter Aufstieg. Insgesammt für einen Alpenpass keine sonderlich ehrfurchtserbietenden Werte. Aber mit durchschnittlich 9,3 %, im Maximum 15 % und nach 5 Stunden und den vorangegangenen 5 Pässen in den Beinen ist er die härteste Prüfung der Maratona.

Und was soll ich sagen: trotz dem Versuch, genügend Verpflegung während der vorangegangenen Kilometer aufzunehmen, ist die Luft am Giau bei mir wieder raus. Quälend langsam fahre ich bergauf, keinerlei wirklichen Druck aufbauen könnend. Tank leer, Puls kaum über unterstes Grundlagenlevel hinausbekommend. Mmpf. Das wird ein langer Aufstieg… Ich nehme an diverse Faktoren, nicht zuletzt die Kälte und meine ungenügende Höhenanpassung haben mir schon vom Start weg die Glykogenspeicher leergesaugt. Doch das möchte ich in einem separaten Blogpost beleuchten. Jetzt muss ich nur hilflos ansehen, dass es nur wenige um mich herum gibt, die hinter mir bleiben, oder die ich gar langsam, seeehr langsam, einholen kann. Ganz im Gegenteil werde ich (zwar Gott sei Dank auch nicht mit oft mit riesiger Differenzgeschwindigkeit) des öfteren überholt. Aber hier geht es eigentlich keinem mehr wirklich gut. Die Gesichter zeigen die Anstrengung. Wenn man etwas hört, dann mal mehr, mal weniger vernehmliches Keuchen… Naja. Irgendwann werde ich oben sein und werde mich durch die halbe Labe futtern…

Und so war es dann auch. Irgendwann war ich oben, fuhr wieder von hinten in die Verpflegungsstelle (auch wenn die Zeit mies ist, erst muss die Passhöhe erklommen sein, erst muss das Strava-Segment komplettiert sein, _dann_ wird die Verpflegung angesteuert) und stand da 21 Min und 43 Sekunden. Und während der gesamten Zeit war ich eigentlich nur am Kauen, am Trinken und liess mir meine Flasche neu befüllen…

Der Passo Giau. Am Sonntag hatten wir hier zwar etwas mehr Schnee, dafür aber Sonne. Diese Aufnahme ist vom vorangehenden Dienstag.
Der Passo Giau. Am Sonntag hatten wir hier zwar etwas mehr Schnee, dafür aber Sonne. Diese Aufnahme ist vom vorangehenden Dienstag.

Die folgende Abfahrt war wieder besonders toll. Das war die einzige Abfahrt, wo ich die Windjacke zusätzlich an hatte. Die hatte ich nämlich auf der Passhöhe schon während der Pause angezogen.

Nach einer landschaftlich reizvollen und schön flüssig zu fahrenden Abfahrt halte ich bereits vor dem Abzweig zum Falzarego-Pass an und stopfe die Jacke wieder in die Rückentasche. Den Anstieg zum Falzarego kann ich wieder besser, wie die spätere Auswertung zeigt, aber trotzdem nicht so gut wie im letzten Jahr fahren. Aber genießen kann ich sie – und dass ist ja die Hauptsache. :)

An der Falzaregolabe nehme ich einen Becher Cola, greife mir ein halbes Brötchen, aber kann es eigentlich nicht mehr wirklich sehen. Halb angebissen (sorry Umwelt, sorry liebe Helfer) werfe ich es in den Abfall. Nun ja, noch ein paar Meter den Valparola hinauf und dann ist es geschafft. Es folgt die, sehr windige, Abfahrt hinab nach Sankt Kassian und weiter zum Startort von heute morgen, nach La Villa. Nun nochmal den sanften Anstieg nach Corvara und dann folgt die Zieldurchfahrt dort. 138 tolle Kilometer durch die wunderbare und bis auf die morgendlichen Temperaturen wieder mal mit besten Bedingungen gesegnete Dolomitenwelt liegen hinter mir!

Zeit vom letzten Jahr überschritten? Ja. Hrmpf. Gnnngnn. Rrrrgrdoofhmpf – das werd‘ ich noch analysieren (hab‘ ich inzwischen ;-)). Tolle Fahrt durch die Dolomiten gehabt? Jepp! Schöne Fotos gemacht? Ohja!. Wirklich zufrieden sein dürfend, überhaupt heute morgen losfahren zu können, geschweige denn, die komplette Strecke bestreiten zu können; nach dem Sturz in der Vorwoche? Ja, ja und ja!

Also, was willst du dann? Nix – außer meine Pasta, meinen Apfelstrudel, mein Schnitzel im Brötchen und mein Bier (alles für Gutscheine vom Startpaket :)) und wieder einen Startplatz für das nächste Jahr! Maratona 2014, ich komme! :)

Nach der Maratona rollte ich zufrieden von Corvara Richtung Badia zu meiner Pension.  Hier bin ich kurz vor La Villa und damit dem Startpunkt vom Morgen. An der linken Straßenseite sind noch die Absperrungen zu sehen, die für das Wegräumen vorbereitet sind.
Nach der Maratona rollte ich zufrieden von Corvara Richtung Badia zu meiner Pension.
Hier bin ich kurz vor La Villa und damit dem Startpunkt vom Morgen. An der linken Straßenseite sind noch die Absperrungen zu sehen, die für das Wegräumen vorbereitet sind.

9 Kommentare

  1. Hallo Torsten, ein toller Bericht, der mit deinen wieder mal fantastischen Fotos zum Träumen einlädt. Habe die heutige Busfahrt ins Büro dadurch sehr genossen. Während andere Starter das Messer nach dem Frühstück direkt zwischen die Zähne klemmen, lässt du es in der Pension zurück. ;) Ich finde diese entspannte Herangehensweise sehr sympathisch und wenn solche Berichte das Ergebnis sind mach bitte weiter so.

  2. Hallo Torsten, klasse Bericht mit tollen Foto´s. Ich habe die Woche vor dem Maratona in Corvara verbracht und genauso empfunden wie du. Das war die schlechteste Woche vor der Veranstaltung seit ich dort teilnehme (8x). Meine Frau hat echt die Krise bekommen….. so von wegen Sommerurlaub und Schnee ;-) Auch ich werde wiederkommen…… Es ist einfach nur geil da…….. sowohl Landschaft als auch Veranstaltung……

  3. Wieder einmal ein sehr, sehr schöner Bericht mit wunderbaren verbalen und fotografischen Impressionen. Ich sag mal Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast und uns daran teilhaben lässt!

Hinterlasse einen Kommentar