Bikepacking Races Training

Pacing Strategien für die Langstrecke – Von Granfondos und Gravel-Rennen bis zu 24h- und Ultracycling-Rennen

Das hier ist Teil 2 einer vierteiligen Mini-Serie zum Thema Ernährung im Rennen, Pacing bzw. Renneinteilung, metabolische Tests und schließlich einem Erfahrungsbericht über meine diesjährige Orbit 360 Saison. Zur Ernährung gab’s bereits hier einen ausführlichen Beitrag (inklusive Rezepte zum selbermachen). Heute widme ich mich dem Thema Pacing bzw. Renneinteilung.

Warum? Um die Frage zu beantworten: Was geht?

Wer vielleicht schon mal einen Leistungstest absolviert hat, wird wissen, wie hart ein solcher Test ist. Die Erkenntnisse sind hilfreich und je nach Art des Tests mehr oder weniger umfangreich.

Sie lehren jedoch vor allem eines: „Diese Leistung soll ich wie lange aushalten können!? Rund eine Stunde!?“, „Und 90 % davon sogar über 4 Stunden!?“ (Wenn die Ernährung passt, heisst das). Als Frage oder Erkenntnis, dass es ein gerüttelt Maß an Leidenswillen oder besser, Motivation, benötigt, diesen Grad an Anstrengung für solche lange Zeit anhaltend aufrecht zu erhalten.

Kann das gehen? Wie kann das gehen? Fragt man sich dann, wenn man in Gedanken noch keuchend an den Stufentest auf dem Ergometer oder an das 20 Minuten All-Out Zeitfahren für den FTP-Test zurückdenkt und sich dann ausmalt, 95 % (eher 91-92 %) der entsprechenden Leistung dann eine ganze Stunde fahren zu müssen. Oder zu können. Und davon wiederum 90 % vielleicht 3 bis 5 Stunden im Schnitt aufrecht zu erhalten.

Da muss einiges zusammenkommen:

  • Genügend Grundlagenausdauer, um überhaupt solche Dauern mit „Zug auf der Kette“ fahren zu können
  • Die Erfahrung, was es heisst, alleine schon mal wenigstens 1 Stunde oder 1,5 Stunden im sogenannten Sweetspot zu fahren, wenn übliche Trainingspläne, wie sie in Radmagazinen und auf Zwift und Co zu finden sind, Intensitäten im Schwellenbereich und auch darunter meist nur in kleinen Intervall-Häppchen dosieren: 4 x 5 Minuten Schwelle, 4 x 10 Minuten Sweetspot o.ä. D.h. selbst wenn es ein 5 x 10 Min Sweetspot-Training wäre – das sind halt gerade mal 50 Minuten Sweetspot in der Summe und nach 10 Minuten gibt es immer eine Pause. Das ist gedanklich und anforderungstechnisch sehr weit von 50 Minuten Sweetspot am Stück und noch weiter von z.B. 240 Minuten (4 Stunden) Sweetspot entfernt.
  • Die Versorgung im Wettkampf bzw. in der Aktivität: Bei allen Dauern über 1 Stunde profitieren wir von einer Zufuhr von exogenen Kohlenhydraten, bei Dauern über 1,5 bis 2 Stunden sind sie sogar zwingend notwendig, wenn wir maximale Leistungen über den entsprechenden Zeitraum erbringen wollen (siehe den inoffiziellen ersten Teil dieser Miniserie: Flüssigverpflegung auf dem Rad. Trinknahrung, Kohlehydrat-Energiepulver und mehr.).
  • Motivation und Wille, die Konzentration und mentale Energie über eine entsprechende Dauer aufrecht zu erhalten, ohne in’s Tagträumen zu verfallen und bewusst oder unbewusst nachzulassen. Oder sich irgendwann im Rennen zu den Gedanken verleiten zu lassen: „Warum tue ich mir das an, ich fahre doch eh nur um Platz 15 bis 30“ und die Zielsetzung zu wechseln (d.h. zu reduzieren).

Ihr werdet in diesem Artikel also die verschiedenen Aspekte kennenlernen, die euch auf gleichmäßigen und auf wechselhaften Strecken (Anstiege, Abfahrten, Gegen- und Rückenwind) ausbremsen und schnell machen. Die physiologischen und physikalischen Grundlagen für die beste Leistungseinteilung dargelegt bekommen.

Dann schauen wir uns die 6 grundlegenden Pacing-Strategien an und werden sehen, warum die variable, bzw. letzten Endes eine Mischform aus variabel und positiv bis parabelförmige Pacing-Strategie die für Langstrecken-Rennen beste Wahl ist.

Und ganz am Ende zeige ich euch die Top Ten der aus all dem abgeleiteten Tips, die ihr für möglichst schnelle Zeiten auf eurem GranFondo, Gravelrennen oder individuellem Zeitfahren beherzigen solltet.

Die Probe auf’s Exempel und gleichzeitig aktuelle Motivation für diesen Artikel: Gravel-Rennen zwischen 6 bis 14 Stunden im ITT-Modus. Die Orbit 360 Gravel Rennserie.

Motivation ist das Stichwort. Ohne Motivation strengt man sich ja nicht an. Was ist motivierender als ein richtiges Rennen? Nun ja, in dem Fall ein dezentralisiertes ITT, ein Individual Time Trial? Auf festgelegten Routen. Mit einer offiziellen Rangliste für alle Teilnehmer. Quasi wie Strava-Segmente, nur halt in Groß und für’s Erlebnis. Nicht nur 150 m von der Milchkanne bis zum Stoppschild (die einzige Stelle, wo sich der Karl vom Nachbarort sich mal so richtig schnell wähnte und daher sofort ein Strava-Segment angelegt hat – und dann doch enttäuscht feststellen musste, nur 38. zu sein ;-)). Oder nicht nur der eine 3 Kilometer-Anstieg wo sich von nah und fern die Recken messen und dann auch am Gipfel rausnehmen können und erstmal wieder die Röte aus dem Gesicht weicht. Sondern so richtig, richtig lang. 150 bis 200 km lang dieses Jahr. Über diverse Oberflächen, von Asphalt über diverse unbefestigte Wege durch Wald und über Feld und Flur. Auf Zeit. Das ist kurz gesagt der Inhalt der Orbit 360 Gravel Serie, dieses Jahr in ihrer zweiten Saison und quasi gerade eben für dieses Jahr beendet.

150 bis 200 km Gravel und oft auch ein gerüttelt Maß an Höhenmetern bedeutet auf jeden Fall längere Zeiten als selbst das Rad-Leg einers Ironman-Triathlons. Also nicht nur 4 bis 5, sondern eher im Minimum 6 bis meist 8 bis 10 und im Extrem auch 13 oder 14 Stunden.

Was geht also über so eine lange Zeit? Gerade auch über eine Gravel-Strecke, wo meist ordentlich Anstiege und Abfahrten dabei sind und man vor allem nicht davon ausgehen kann, wirklich 100 % der Strecke fahren zu können (obwohl doch einen Großteil zwischen 98 und 99 %) und wo man vor allen Dingen in den Abfahrten meistens nicht durch pedalieren und Leistung investieren kann, sondern gefordert ist, das Rad laufen zu lassen und eventuell sogar aktiv mit dem Körper Bodenunebenheiten abfedern muss.

Pacing ist der Schlüssel (sowohl das geplante wie auch das aufgezwungene)

Mir kommt es hier vor allem auf die individuelle Wettkampfgestaltung an. Wenn ich von „aufgezwungen“ spreche, meine ich damit also nicht das Orientieren an den unmittelbaren Konkurrenten in einem Massenstart-Event, das Sprinten am Anfang eines Mountainbike-Rennens um die beste Position für den Start der Singletrail-Sektion oder das Kämpfen um den Platz in einer der vorderen Gruppen und den Windschatten dort.

Auch in solchen Rennen und Situationen ist Pacing wichtig (zu gegebener Zeit und angepasst) und daher findet ihr im Folgenden auch diverse Aspekte und Hinweise, die auch für z.B. einen Alpinen Gran Fondo oder ein Massenstart-Gravel-Rennen (wie es sie aber eigentlich bis dato in Deutschland noch gar nicht gibt) gültig und hilfreich sind.

Eigentlich geht es mir aber vorrangig um solche Aktivitäten, Events und Rennen, bei dem der Athlet lange Zeit alleine und für sich fährt. Ohne Windschatten und ohne unmittelbare, gleich starke Konkurrenten. Das kann der Rennrad-Marathon sein, in dem man von Platz 1000 startend einfach keine passende Gruppe findet und ständig nur am Überholen ist. Das kann ein 24h-Solo-Rennen auf einer Rundstrecke wie z.B. dem Nürburgring sein. Das kann aber genauso gut ein typisches Selbstversorger Bikepacking Rennen wie das TCR oder TPBR sein, bei dem man tagein, tagaus alleine gegen den Wind und das Terrain kämpft. Und das kann eine Serie wie die Orbit 360 Gravel Series sein, wo man sich zur selbstgewählten Zeit an den selbstgewählten Startpunkt einer festgelegten Strecke begibt und dann diese Runde so schnell es eben möglich ist, zurücklegt und seine aufgezeichnete Aktivität auf der Veranstaltungsseite zur Eintragung in die Rangliste hochlädt. Ein individuelles Zeitfahren also. In diesem Fall über „Gravel“.

Wie legt man eine Strecke von 150 bis 200 km am schnellsten zurück, die einem dafür über mehr oder weniger rauhen Untergrund 6 bis 14 Stunden Gesamtdauer abnötigt? Wo ist die Leistung am besten investiert? Wie minimiere ich ungenutzte Stillstandszeit?

Grundlegende Pacing-Aspekte

Aspekt 1: Höhenprofil

Die meisten Zeitfahren und auch Triathlonstrecken haben ein sehr überschaubares (sprich, eher flaches) Höhenprofil. Weder muss man sich bereits sehr viel Gedanken zum Pacing in Abhängigkeit von der Streckensteigung machen, noch ist man auf abfallenden Abschnitten zum Rollen im Freilauf verdammt, sondern kann auch dort pedalieren und Druck machen.

Aber auch bei Zeitfahr-Wettbewerben und Triathlons gibt es hügeligere Ausgaben. Noch ondulierter wird das Höhenprofil bei typischen Gran Fondos oder gar Alpenmarathons. Lassen wir bei letzteren mal fahren in der Gruppe außer acht, dann ist da bereits wichtig, wie man seine Leistungsentfaltung zwischen Ebene, Anstieg und Abfahrt einteilt. Oft wird man bei steilen Abfahrten nämlich gar nicht mehr treten können.

Bei Gravel-Strecken in den Mittelgebirgen ist das noch betonter. Sowohl die Anstiege wie auch die Abfahrten haben das Potenzial, noch viel steiler als eine normale Straße sein zu können. Dazu mag der Untergrund locker und ruppig sein und ihr müsst alleine deswegen schon aus dem Sattel und ebenfalls wieder ohne zu pedalieren und Leistung einzubringen abfahren. Um mit Armen und Beinen aktiv federnd den Untergrund etwas glatt zu bügeln bzw. den gröbsten Steinen ausweichend eine möglichst gute Linie finden.

Das zieht natürlich unweigerlich die Durchschnittsleistung in den Keller. Oder anders gesprochen: ihr habt also in vielen Abfahrten eine erzwungene Erholung. Wobei man je nach Charakter der Abfahrt nur bedingt von Erholung sprechen kann, wenn man aktiv Bodenunebenheiten ausgleicht, durchgeschüttelt wird und insgesamt sehr aktiv – auch mit dem Oberkörper – mit dem Rad arbeitet.

Aspekt 2: Durchschnittsleistung und Normalized Power

Das Thema der schnellen Abfahrten und erzwungenen (Leistungs-)Pausen macht deutlich, dass bei sehr variablen Kursen (auf und ab aber auch starker Wind mal von vorn, mal von hinten) die Durchschnittsleistung weder ein guter Indikator für die tatsächlichen Belastung in der nachlaufenden Auswertung ist, noch dass sie sich als Steuergröße oder Pacing-Vorgabe eignet. Aus einem zuvor durchgeführten metabolischen Test (wo nicht nur die Schwellenleistung, sondern auch deren anteilige Komponenten VO2max und VLAmax sowie die entsprechenden Substratverbräuche – also Kohlenhydrate und Fette – ermittelt wurden) weiss ich, dass es mir möglich sein sollte, z.B. über knapp 5 Stunden ganze 248 Watt (bei 90 g KH/h Versorgung) dauerhaft zu treten. Das ist enorm (finde ich zumindest), stellt es doch 90 % meiner FTP und 3,76 Watt pro Kilogramm Körpergewicht dar. Das ist also kein geringer Anspruch an die Leistung und den Leidensweillen. Das müsste ich auch in der Tat erstmal im Flachen erbringen und nachweisen. Aber Flach geht’st hier ja eh nicht vonstatten.

Sagen wir also beispielhaft, unsere Strecke startet mit einem 10 Minütigen-Anstieg und es folgt eine ebenfalls 10 Minuten lange Abfahrt, in der ich überhaupt nicht treten kann (zu steil, zu ruppig, zu technisch oder alles zu gleich). Wenn ich dann mit der ja nicht geringen Leistung von 248 Watt 10 Minuten Bergauf fahre und dann 10 Minuten mit 0 Leistung abfahre, habe ich nur eine Durchschnittsleistung von 124 Watt geleistet. Aus einer Bergauf- (und geplanten Dauer)-Leistung im Sweetspot-Bereich bzw. von 90 % meines Schwellenwertes (so eben noch in Zone 3) ist mal eben am Ende des ersten Auf- und Ab eine Durchschnittsleistung unterhalb der Zone 2, also unterhalb des Grundlagenausdauerbereiches 1 geworden. Vom Durchschnitt her habe ich über die 20 Minuten quasi eine ReKom-Einheit gefahren.

In der Realität sind die Abfahrten (zumindest wenn es auf die ursprüngliche Ausgangshöhe zurück geht) natürlich nicht ganz so lang (zeitlich) wie die Anstiege. Und in manchen Abfahrten kann man ja doch ein wenig oder auch viel treten. Und auch beim größten Auf und Ab gibt es flache Passagen. Dennoch – selbst wenn man ordentlich Tempo macht – aus diesem Grund (und den üblichen, wenn auch nur ganz kurzen Stops z.B. an einer Ampel oder um einen verpassten Abzweig zu nehmen), ist die Durchschnittsleistung bei solchen Kursen eher niedrig und sehr wenig zur Beurteilung der Belastung geeignet. Denn die 10 Minuten Anstieg nahe an der Schwelle kosten euch natürlich (trotz der folgenden 10 Minuten Erholung) deutlich mehr Körner als wenn ihr gleich die ganzen 20 Minuten mit Recovery-Leistung dahergerollt wärt. Noch deutlicher wird es, wenn wir statt 10 Minuten knapp unter der Schwelle 10 Minuten über der Schwelle im Anstieg gefahren wären.

Dafür wurde das Konstrukt der Normalized Power (und ähnlicher Metriken wie Equivalent Power etc.) ersonnen. Hier werden die physiologisch deutlich fordernderen höheren Leistungswerte über- und niedrigere Leistungswerte bei der Rechenvorschrift untergewichtet, indem im Rahmen der Mittelwertbildung mit der vierten Potenz gearbeitet und am Ende die 4. Wurzel gezogen wird (siehe hier: What is Normalized Power).

Die Normalized Power (weighted average Power oder auch Daniels Equivalent Power sind ganz ähnliche Rechenvorschriften innerhalb anderer Programme ohne den durch Trainigspeaks geschützten Begriff zu benutzen) ist also für variable Bedinungen ein wesentlich besserer Indikator für die geleistete Arbeit bzw. für die erfahrene Belastung. Bei gleichmäßigen Kursen nähert sie sich der Durchschnittsleistung an.

Wenn man Normalized Power und Durchschnittsleistung ins Verhältnis setzt, erhält man den Variabilitätsindex. Für ein hartes Kriteriums-Rennen mit Antritten nach jeder Kurve und rollen bzw. gar Bremsen vor jeder Kurve und auch für sehr hügelige Rennen kann der Variabilitätsindex sehr leicht Werte von 1,2 oder gar mehr erreichen. 1,2 ist also schon viel. Als Beispiel: meine drei ersten Mittelgebirgs-Orbits mit Höhenmetern über 2000 weisen in meiner Aufzeichnung Variabilitätsindizes von 1,27 bis 1,29 auf! Nur der vergleichsweise flache Orbit in der Lüneburger Heide hat bei mir 1,14. Noch höhere Variabilitätsindizes weisen für mich der ebenfalls hügelige Votec Warp Orbit in der Schwäbischen Alb (1,34) und im Extrem der Eleven Earths Orbit im Odenwald mit 1,48 auf. Der letztere aber auch mit den meisten Höhenmetern aller 2021er Orbits (4.600 HM), quasi nur auf und ab, einem guten Anteil Hike-a-Bike und sowohl die längste Non-Moving-Time sowie etwas Anteil von Fahren im Dunklen, was sicher zu diesem höheren Variabilitätswert beiträgt.

Allein aus dieser Erläuterung wissen wir jetzt, dass es nicht das Ziel sein kann, die aus dem Test erhaltene Sweetspot-Leistung als Durchschnitts- und Zielwert für das Pacing anzupeilen. Auf jeden Fall nicht für ein Rennen mit stark wechselndem Terrain!

Können und sollen wir also am Berg oder im Flachen eine höhere Leistung anzielen oder sind wir dazu verdammt, dass die Durchschnittsleistung um so mehr sinkt, je mehr Abfahrten es über die Rennstrecke gibt und unweigerlich also die Zeiten steigen, obwohl wir vielleicht doch mehr hätten leisten können? Wie hoch muss bzw. darf dann diese höhere Leistung sein und wo sollte sie investiert werden?

Aspekt 3: Physiologische Leistungsbereitstellung

Den weitaus meisten Menschen fällt es leichter, bergauf Leistung zu entfalten als in der Ebene oder gar in leichten Abfahrten bzw. mit Rückenwind. Das hängt mit der Massenträgheit und mit unseren motorischen Fähigkeiten zusammen. In einer Steigung (oder bei gleichmäßigem Gegenwind) hat man immer „Zug auf der Kette“. Uns fällt es daher einfacher, mit hoher Kraftentfaltung gegen die Schwerkraft zu arbeiten, als in der Ebene das in Bewegung befindliche System (was auch ohne momentanen Input aufgrund der Massenträgheit weiter rollen würde) mit entsprechender Leistung bei schnelleren „neuronalen Feuerungsmustern“ über die Kurbelumdrehung zu versorgen. Das manifestiert sich in den typischen Quadranten-Analyse-Diagrammen, die für einen Hobby-Fahrer wie mich in etwa so aussehen:

Quadrantenanalyse (Golden Cheetah Screenshot)

Die Quadranten werden durch den Schnittpunkt aus mittlerer Trittfreuquenz bei Schwellenleistung (Abszisse) und ebendieser Schwellenleistung (allerdings nicht in Watt, sondern in effektiver Pedalkraft in Newton, Ordinate) gebildet. Oben rechts würden wir also Anstrengungen mit hoher Kadenz und gleichzeitig hoher Leistung sehen. Das ist, gerade über eine langandauernde Aktivität wie ein Orbit oder auch ein alpiner Radmarathon, eher selten der Fall. Das wären nämlich z.B. Sprints mit hoher Leistung.

Daher seht ihr im Bild die typische Tränenform (naja, sehr zum Weinen ist es nicht ;-)) von langsamer Umlaufgeschwindigkeit des Pedals und hoher Leistung im Quadrant oben links. Das sind die Anstiege (oder Zeiten) wo die Gänge ausgegangen sind oder man bewusst einen dicken Gang gefahren ist und höhere Leistung erbracht wurde. Im Beispiel: Kadenz < 66 U/m. Und dann hohe Anteile (natürlicherweise) unterhalb der Schwellenleistung, mit eher höherer Kadenz (unten rechts) und geringe Leistung mit geringer Kadenz unten links quasi komplett zerstreut.

Auch gibt es Hinweise, dass der Wirkungsgrad von Radfahrern bei niedrigeren Kadenzen höher ist, als bei hohen (z.B. Hansen, Ernst A. and Rønnestad, Bent R, 2016: Effects of Cycling Training at Imposed Low Cadences: A Systematic Review und z.B. Ansley, Les and Cangley, Patrick 2009: Determinants of “optimal” cadence during cycling. Wer in den 90er Jahren Tour de France geschaut hat, wird sich an die Duelle von Jan Ulrich mit Lance Armstrong erinnern. Nun, gedopt haben beide. Einer davon hat das System und die Ausnutzung und den Einbezug der Menschen im Umfeld auf perfideste Weise auf die Spitze getrieben und war generell ein wahrlich unangenehmer Zeitgenosse (Lance), der andere leider eine tragische Figur (Jan). Aber einer von beiden war für eher hohe Kadenzen bekannt und Jan halt für ziemlich niedrige, dafür kraftvolle. Damals verging also keine Tour de France Übertragung, ohne das nicht über die (damals anscheinend) ungewöhnlich hohen Kadenzen von Lance Armstrong auch am Berg gesprochen wurde und wie sie die Ermüdung der Muskeln reduzieren würden. Aktuellere Forschung kommt bezüglich Kadenzen allerdings eher zum Schluss, dass es eher die indiviuelle veranlagten Kadenzen sind, die der Sportler beibehalten sollte und die für ihn optimal sind. Und das gerade auch geringe Kadenzen (sowohl im Training wie auch im Wettkampf) förderlich für die Leistung sind. Zumindest gegenüber eher hohen Kadenzen bzw. höheren Kadenzen als solchen, die der Sportler frei und selbst nach Gefühl und Vorlieben wählen würde.

Ja, hohe Kadenzen erfordern weniger Pedalkraft bei gleicher Leistung (siehe Quadrantenanalyse) und haben somit das Potenzial, die Muskeln etwas zu schonen. Das heisst aber eben nicht, dass damit auch ein hoher oder höherer Wirkungsgrad einhergeht. Denn die Muskeln müssen eben „schneller feuern“ und es wird auch eine höhere kardiovaskuläre Last erzeugt – zumindest, wenn für den jeweiligen Athleten eher höhere als seine selbstregulierte „Durchschnittskadenz“ abgefordert werden. Jeder kann das für sich selbst nachvollziehen, dass er in diesem Fall bei gleicher Leistung eher die Atem- und Herzfrequenz gesteigert erfährt. Man keucht also quasi für nichts und wieder nichts mehr. Das ist nicht effizient!

Es gibt also einen „Trade-Off“ zwischen der metabolisch effizientesten (geringe Belastung des Herz-Kreislaufsystems) und der mechanisch effizientesten (geringere Drehmomente an der Kurbel, geringere Muskelfaserbelastung) Kadenz. Dieser Trade-Off und dieses individuelle Optimum wechselt auch mit der Ermüdung des Sportlers, aber auch durch externe Faktoren wie Hitze, Untergrund etc.

Auch deswegen ist es für viele Radfahrer einfacher, im Anstieg Leistung zu entfalten, als in der Ebene. Was sehr vorteilhaft ist, spielt es uns doch auch für die gleich im Anschluss aufgeführten physikalischen Faktoren in die Hände. Wir werden nämlich lernen, dass es ohnehin am günstigsten ist, in den Anstiegen mehr Leistung zu investieren.

Aspekt 4: physikalische Widerstände in Relation zur Geschwindigkeit

Beim Radfahren sind diverse Widerstände zu überwinden. Die Reibung in Lagern und Antrieb als kleinster Anteil, die Rollreibung der Reifen auf dem Untergrund und der Luftwiderstand. Dabei steigen die ersten zwei Widerstände linear mit der Geschwindigkeit und der Luftwiderstand quadratisch mit der Geschwindigkeit. Und in Bezug auf die aufgewendete Leistung steigt der Luftwiderstand sogar kubisch!
Dazu kommt dann außerhalb der Ebene noch die Hangabtriebskraft (die im Anstieg überwunden werden muss und die in Abfahrten beschleunigend wirkt).

Wenn also eine mögliche Leistung in der Ebene eine gewisse Geschwindigkeit ergibt, sagen wir meine derzeitige Schwellenleistung von 275 Watt, die in etwa für 33,9 km/h gut ist (siehe z.B. Kreuzotter.de – ohne Anpassung der Standartwerte, Rennrad, Oberlenkerhaltung), dann sind aus diesen 275 Watt ganze 253 Watt dafür erforderlich, den Luftwiderstand zu überwinden:

Pw = Fw x v = cw x A x 1/2 x rho x v3

mit
CwA = 0,4891 m2,
Luftdichte rho = 1,236 kg/m3
v = 33,9 km/h = 9,42 m/s

Wollte ich da auch nur einen einzigen Kilometer pro Stunde mehr herrauskitzeln, muss ich direkt 25 Watt Leistung drauflegen. 300 Watt. Wo soll ich die (für längere Zeit) hernehmen? Ich verbrenne da 100 % Kohlehydrate; und das nicht zu knapp. Ich kann es ja dank dem Aerotune Leistungstest (siehe noch kommenden Artikel zur Leistungsdiagnostik) genau beziffern: 293 g KH/h wären dafür erforderlich. Das schafft kein menschliches Verdauungssystem. Hier liegt die Grenze des machbaren für (magen-)trainierte Sportler bei rund 100 bis 120 g KH/h und üblicherweise so zwischen 60 bis 90 g KH/h. Entsprechende Substratmengen müssen also aus den begrenzten Speichern des Körpers kommen. Das kann nicht lange durchgehalten werden. Und – ich bin ja schon bei 275 Watt an der Schwelle in einem Bereich, in dem ich gerade noch ein klein wenig Fett (4 g) und ansonsten bereits 268 g KH verbrenne! Aber das zunächst nur am Rande.

Jetzt leisten wir mal die gleichen 275 Watt, aber in einem Anstieg von moderaten 7 %.

Da wir jetzt auch die Hangabtriebskraft überwinden müssen, werden wir langsamer. 275 Watt sind nur noch für 15,2 km/h gut. Jetzt stammen daher nur noch 22,7 Watt aus dem Luftwiderstand. Holla! Aber – viel gewonnen haben wir nicht! Es sind natürlich immer noch 275 Watt, die wir in der Summe investieren. 234 Watt nun als Steigleistung zur Überwindung der Hangabtriebskraft und der überwiegende Rest zur Überwindung der Rollreibung.

Sind denn hier im Anstieg nun die beispielhaften 25 Watt Mehrleistung besser investiert? Schließlich geht hier die Geschwindigkeit nicht mehr kubisch (also hoch 3), sondern nur noch linear in die Gleichung der Leistung ein:

Pg = sin alpha x m x g x v

mit
sin(alpha) = arctan der Steigung in Prozent
m = Totales Systemgewicht in kg
g = Erdbeschleunigung
v = Bewegungsgeschwindigkeit

Nein, leider nicht wirklich. Das ist also nicht der Grund, warum es mehr Sinn macht, etwas mehr Leistung im Anstieg anstelle in der Ebene oder gar in der Abfahrt zu investieren. Denn: nur bei den gewählten 7 % passt mein zufälliges Beispiel gerade. 25 Watt mehr ergeben anstellte 15,2 km/h jetzt 16,4 km/h. In der Tat also anstelle nur 1,0 in der Ebene jetzt 1,2 km/h mehr. Bei 10% ergeben sich allerdings schon wieder 11,4 zu 12,4 km/h (also auch nur 1,0 km/h schneller) und bei 14 % beispielsweise nur 8,5 zu 9,2 km/h (also sogar nur 0,7 km/h mehr für die 25 Watt Mehrleistung).

Warum? Nun, der Skalierungsfaktor aus Steigung, Systemgewicht und Erdbeschleunigung ist einfach so viel größer (um die 80 im Beispiel) als der Skalierungsfaktor aus CwA-Wert, 0,5 und der Luftdichte (um die 0,3 im Beispiel).

Das sieht man anschaulich an den 4 folgenden Diagrammen, die die zu überwindenden Widerstände für besagtes Beispiel einmal für die Ebene und einmal für einen 7 % Anstieg von Geschwindigkeiten zwischen 0 und 50 km/h darstellen und dann im Vergleich noch eine nur 2-prozentige Steigung zeigen, einmal mit dem Rollwiderstand wie bei den 2 anderen Beispielen und einmal mit einem graveltypischen Rollwiderstand (crr = 0,01 ggü. 0,003):

Darin ist zu sehen, dass der „Break-Even“ für den Steig-Widerstand zum Luftwiderstand für unseren Beispielfahrer im siebenprozentigen Anstieg erst bei 48,8 km/h erreicht wird. Dann sind beide Leistungsanteile bei rund 753 Watt (und wir müssten demzufolge rund 1500 Watt leisten, um diese Geschwindigkeit zu erreichen).

Dieser physikalische bzw. mathematische Fakt der Potenz der Geschwindigkeit in den jeweiligen Formeln zur Definition der Leistungsanteile ist also nicht der Grund, warum es Sinn macht, Mehrleistung eher im Anstieg als in der Ebene zu investieren!

Aspekt 5: simple Mathematik der Durchschnittschgeschwindigkeit

Dieser Aspekt ist dreigeteilt.

Aspekt 5.1: Der „Schnitt“-Trugschluss

Zum einen finde ich bei vielen Menschen oft noch einen Verständnismangel in Bezug auf den Effekt von Anstiegen und Abfahrten auf die Gesamtzeit. Oder eher auf die Durchschnittsgeschwindigkeit. Gerade Rennradfahrer, hier besonders Einsteiger, sind ja gerne auf einen Schnitt fixiert. Z.B. die magischen 30 km/h für einen Hobbyfahrer. Die hinterher auf dem Tacho stehen müssen und anhand derer man auch die Fahrten anderer auf Strava beurteilt. „Wie – nicht mal ein 25er Schnitt? Was für eine Lusche!“ Dabei wird nicht darauf geschaut, ob der Kurs komplett flach ist oder ob da (bei einem Rundkurs) Hügel dazwischen sind. Was ist denn schon dabei? Ist doch egal, ob der Kurs eher flach ist oder ob ein paar Hügel darinnen sind. Ist Was ich langsamer Bergauf fahre, bin ich doch schneller bergab!?

Weit gefehlt! Das Dumme: auch bei gleich langen Anstiegen wie Abfahrten sind wir dann halt viel länger in den Auffahrten als in den Abfahrten unterwegs. Beispiel: mit einem 40 km/h Schnitt würde eine ebene Strecke über 40 km Länge in genau 60 Minuten zurück gelegt. Wenn jetzt die ersten 20 km nur leicht ansteigend verlaufen, so dass bei gleicher Leistung 35 km/h auf dem Tacho stehen und die zweiten 20 km geht es dann mit 45 km/h bergab dann lautet die Rechnung wie folgt: 35 km/h / 20 km = 34,286 Min und 45 km/h / 20 km = 26,667 Min und in Summe ergibt das 60,953 Minuten. Als fast eine ganze Minute langsamer. Und das ist jetzt ganz ohne solche Effekte wie steile Abfahrten mit engen Kurven, schlechtem Belag oder ähnlichem, die es noch nicht mal gestatten, es richtig laufen zu lassen. Sondern auch in der Abfahrt Bremsen und wieder beschleunigen erforderlich machen.

Man sieht ebenfalls schön mathematisch dargelegt, dass überlicherweise die Erholungszeiten in den Abfahrten viel kürzer sind als die Zeiten im Anstieg. Im Beispiel haben wir etwas über 34 Minuten mit etwas höherer Leistung verbracht, konnten uns aber nur etwas über 26 Minuten erholen.

Das bedeutet: Auf hügeligeren Kursen mit vielen Höhenmetern sind wir nicht nur im Durchschnitt langsamer (ok, keine bahnbrechende Erkenntnis, aber siehe die Einleitung zu diesem Aspekt – für manche eben doch). Uns bleibt auch weniger Erholungszeit von den Anstiegen und sie hindern uns (ab einem gewissen Gradient der Abfahrten) daran, gleichmäßig unsere angestrebte Dauerleistung abzuliefern (weil wir schnell gezwungen sind, mit dem Treten aufzuhören: zu steile Abfahrt, zu ruppiger Untergrund, zu geringer Grip in den Kurven, zu enge Kurven – Aspekt 1).

Und daher muss ja irgendwo die in den Abfahrten entweder nicht mögliche oder nicht empfehlenswert zu investierende Leistung aufgewendet werden? Wo am Besten? In der Ebene und im Anstieg. Aber wo dort am ehesten?

Aus dem vorhergend zu Aspekt 4 hergeleiteten Formeln könnte man ja jetzt versucht sein, die Mehrleistung in der Ebene zu investieren. Zumindest habe ich selbst darüber gegrübelt, als ich mir die Formeln selbst aufgeschrieben und obige Testrechnungen durchgeführt habe. Hmm – 25 Watt mehr investiert, aber in Anstiegen > 7 Prozent weniger an gesteigerten km/h herausbekommen als in der Ebene. Sehr komisch! Warum ist es dann doch sinnvoller, im Anstieg mehr Leistung als in der Ebene zu investieren? Immer vorausgesetzt natürlich, wie haben das Potenzial dafür, diese Mehrleistung abzurufen. In entsprechender Dauer. Und so, dass wir dafür nicht im weiteren Verlauf der Aktivität büßen müssen und langsamer werden.

Die Antwort liegt wieder in der simplen Mathematik der Durchschnittsgeschwindigkeit begründet.

Aspekt 5.2 Mehrleistung macht im Anstieg am meisten Sinn

Wir nutzen wieder unseren Beispiel-Fahrer aus Aspekt 4. Rennrad / Gravelbike in Oberlenkerhaltung mit einem CwA von 0,4891 m2, Systemgewicht von 80,8 kg und ein Rollwiderstandskoeffizient von crr = 0,0033 (Rennradslicks auf Asphalt). Wieder fahren wir 10 km Abschnitte. Jetzt immer erst 10 km flach, dann 10 km in einem Anstieg. Der sei wieder 7 % steil. Auch hier könnt ihr die Rechnung einfach selbst wieder auf Kreuzotter.de nachvollziehen. Die gerade genannten Werte sind die Standard-Voreinstellungen dort, die sich für die Auswahl des Radtyps Rennrad mit Oberlenkerhaltung ergeben.

Beispiel 1: Wir fahren 10 km flach mit 275 Watt, 10 km 7% mit 300 Watt. Investieren also über den gesamten Anstieg 25 Watt mehr. In der Ebene fahren wir so 33,9 km/h und benötigen für die 10 km 17,7 Minuten. Im Anstieg fahren wir 16,4 km/h und benötigen für diese zweiten 10 km 36,59 Minuten. Investieren also mehr Leistung und verbringen trotzdem mehr als das doppelte der Zeit im Anstieg! In der Summe haben wir für die 20 km 54,29 Minuten benötigt.

Beispiel 2: Mal umgekehrt. Jetz die ersten 10 km flach mit 300 Watt und dann die 10 km im 7-prozentigen Anstieg mit 275 Watt: In der Ebene sind wir genau 1 km/h schneller als in Beispiel 1, jetzt 34,9 km/h. Weil dieser 1 km/h pro Stunde aber halt nur knapp 3 % Steigerung zum vorhergehenden Wert darstellt und wir in Beispiel 1 die ersten 10 km eh schon recht fix nach 17,7 Minuten Minuten zurückgelegt haben, ist hier nicht viel mehr zu holen. 17,19 Minuten sind es nun. Gerade mal 0,5 Minuten gespart! Im Anstieg sind wir aber nun sogar 1,2 km/h langsamer. Und das jetzt halt für eine sehr lange Zeit. Nämlich 39,47 Minuten. Und 1,2 von 16,4 sind 7,3 % reduzierte Geschwindigkeit! Also eine im Verhältnis deutlichere Reduktion über eine längere Zeit. Das kann ja keine insgesamt schnellere Zeit ergeben. In der Tat – in der Summe sind wir nun 56,66 Minuten unterwegs. 2,37 Minuten länger als in Beispiel 1.

Ok – einen Einwand gibt es. Jetzt sind wir aber auch viel kürzer mit den 300 Watt gefahren als in Beispiel 1. Wie sieht es denn aus, wenn wir gleich viel physiologische Leistung investieren?

Beispiel 3: Wir fahren genau so lange mit 300 Watt wie in Beispiel 1 (36,59 Minuten). Investieren die zuerst voll in dem ebenen Abschnitt und dann den verbleibenden Rest im Anstieg. D.h. 36,59 – 17,7 = 19,4 Minuten. Diese fahren wir im Anstieg ebenfalls mit 300 Watt. Das bringt uns mit einer Geschwindigkeit von 16,4 km/h 5,3 km weit. D.h. wir fahren die verbleibenden 4,7 km Anstieg wieder mit unserer normalen Leistung von 275 Watt. Die ergeben wieder die 15,2 km/h und das erfordert dann weitere 18,55 Minuten. Resultat: 55,14 Minuten in der Summe. Schneller als Beispiel 2. Logisch, sind wir doch zusätzlich noch etwas über die Hälfte des Anstiegs mit 300 Watt gefahren. Aber – halt trotzdem langsamer als in Beispiel 1, wo wir genau die selbe Zeit mit 300 Watt gefahren sind; nur halt komplett im Anstieg.

Der Vollständigkeit halber: Die 20 km mit 275 Watt konstant befahren führt zu einer Gesamtzeit von 57,17 Minuten (am langsamsten, klar) und mit 300 km konstant ergeben sich 53,78 Minuten (am schnellsten, ebenfalls klar).

Wie sieht das für andere Ausgangskonfigurationen aus? Wenn der Anstieg anstelle 7 % nur 2 % steil wäre? Oder gar 12 %? Wenn ich einen höheren Reifenrollwiderstand hätte (gewählt 0,005 anstelle 0,0033 und damit einhergehend einen größeren Frontquerschnitt zu verschlechterter CwA von 0,5701 führend)? Oder wenn ich ein 10 kg höheres Systemgewicht die 12 % mit hochschleppen müsste? Einmal auf das Rad aufgeschlagen (mit der Annahme, dass so die CwA gleich bleibt) und einmal auf den Fahrer aufgeschlagen (massiverer Fahrer = schlechtere CwA von 0,5136)?

Bitteschön! Hier die Tabelle:

und hier als Diagramm:

Ihr seht also, dass sich an der relativen Rangliste nie etwas ändert. Am schnellsten ist es natürlich, konstant mit der hohen Leistung durchzufahren (t 300 W konstant). Am langsamsten natürlich, konstant mit der niedrigen Leistung durchzufahren (t 275 W konstant). Und, sofern wir es leisten können, die 25 Watt Mehrleistung über die vollen 10 km Anstieg durchzuhalten, ist dass immer die zweitschnellste Variante.

Ihr seht auch, wieviele Minuten direkt hinzu kommen, wenn der Rollwiderstand nur leicht steigt (und hier habe ich gar nicht mal einen für Gravel realistischen Rollwiderstandsbeiwert gewählt – das gab Kreuzotter.de nicht her). Einen Reifen mit möglichst geringem Rollwiderstand zu wählen, lohnt sich also immer. Auf jedem Terrain!

Anhand der drei obersten Kurven (von denen die zwei letzten fast direkt übereinander liegen), seht ihr auch, welchen Effekt „nur“ 10 kg Mehrgewicht ausmachen. Direkt mal rund 7 Minuten werden auf die Gesamtdauer aufgeschlagen. Die nur leicht verschlechterte CwA des massiveren Fahrers fällt dagegen bei gleichem Gewicht kaum in Betracht. Ich schreibe deswegen „nur“ in Anführungszeichen, weil 10 kg bei einem Rennrad-Event natürlich Welten sind. Aber als Zusatz-Gewicht im Rahmen eines Selbstversorger-Rennens inklusive Wasser schnell zusammen kommen. Da weiss man, welche Zeitunterschiede man erwarten darf.

Aber auch für solche 6 bis 14 Stunden Gravel-Rennen (ob Unbound Gravel in den USA oder eine Orbit Serie hier in Deutschland) zeigt das eindrücklich auf, wo man optimieren kann und sollte. Die Gabeltaschen samt Kettenschloss am Rad lassen, weil man sie ja immer daran spazieren fährt ist nicht nur aerodynamisch schlecht, sondern auch Gewichtstechnisch. Das gesamte Taschenkit am Rad lassen, obwohl man ja eigentlich nur eine Foodpouch bräuchte, ist ebenfalls schlecht. Wirklich ein Gravelbike zu haben, das unter einem agil und behende fährt und das auch nur 8 bis 9 kg wiegt ist ebenfalls weit besser für ein Gravelrace (wenn es kein Bikepacking-Rennen ist), als das Long-Haul-Trailbike mit dutzenden Anschlagpunkten und den extrabreiten 55 mm Reifen zu benutzen. Da sind 11 kg und mehr alleine beim Rad schnell erreicht! Klar, diese Information nutzt natürlich nichts, wenn man ohnehin nur ein Rad besitzt. Kann aber trotzdem sehr hilfreich sein, wenn ihr euch vor dem Kauf eines neuen (Gravel)-Bikes überlegt, was ihr damit vorrangig machen wollt.

Und auch die Frage nach der Mitnahme von Verpflegung und besonders Wasser wird hier beantwortet: so viel vom Start weg mitnehmen nur unbedingt erforderlich. Und nicht 2 Liter Wasser umsonst mit sich führen, wenn man im Rennen selbst an mehreren, gut erreichbaren Wasserstellen vorbei kommt. Hier sieht man aber auch wieviel Zeit man maximal für die Wasserbeschaffung aufwenden darf, wenn dem nicht so ist. Also lieber vom Start weg mit 4 Litern Wasser (bei mir inklusive Trinkmix) starten, als unterwegs alle 50 km 7 Minuten mit Stoppen, Wasser nachfüllen und Trinkpulver einmischen zu verbringen.

Aspekt 5.3 Wie sieht das physiologisch aus?

Bisher habe ich ja einfach mal so zwei Wattwerte beispielhaft benutzt. In meinem Fall wären die 275 Watt exakt meine FTP bzw. mein MLSS (Maximum Lactate Steady State). Im vielbenutzten 7 Zonen-Modell nach Coggan wäre das die Zone 4, Schwellenbereich, die von 91 bis 105 % der FTP definiert ist. Die nur 25 Watt mehr, also die 300 Watt, würden also bedeuten, das ich mit 109 % meiner Schwellenleistung fahren würde. Erstens ist schon das Fahren an der FTP oder selbst nahe daran für Wettkampfdauern von mehr als 5 Stunden weder empfehlenswert noch machbar. Ist doch die Definition der FTP, dass man sie ungefähr für eine Stunde aufrechterhalten kann. Knapp drunter, mit 90 %, also so gerade noch in Zone 3, dem sogenannten Tempobereich, soll das aber funktionieren. Zumindest viel länger als eine Stunde. Es wäre trotzdem sehr hart und für Zeiten länger als 4 Stunden in meinem Fall kaum aufrecht zu erhalten. Warum, wieso und was das mit der VLamax und der maximal möglichen Kohlehydrat-Verstoffwechslung im Wettkampf zu tun hat, dazu dann im nächsten Teil dieser Mini-Serie zum Thema metabolisches Testen mehr.

Nun, meine Schwelle könnte ja aber auch höher liegen. Sagen wir, sie läge bei 300 Watt. Dann würde ich in den Beispielen des letzten Abschnitts also jetzt in der Ebene und soweit es mir die Abfahrten gestatten, dort mit den 275 Watt fahren. Was immer noch knapp im Schwellenbereich wäre – also eher nur für Rennen bis 4 h machbar und auch das nur bei optimaler Versorgung wäre. Aber für’s Beispiel sei’s mal drum. Und in den Anstiegen rund 40 Minuten direkt an der Schwelle… Immer noch mehr als haarig!

Ihr seht aber, worauf ich hinaus will: auf die physiologische Leistungsfähigkeit des Sportlers im Hinblick auf die Dauer des Rennens / des Zeitfahrens und von dieser abgeleitet sinnvolle Variationen der Leistung – im Anstieg gegenüber der Ebene oder auch in Gegenwindabschnitten gegenüber Rückenwindabschnitten (bei Rundkursen z.B.). Und zwar so, dass sich Mehranstrengung im Anstieg oder im Gegenwind mit den Erholungsphasen in den Abfahrten bzw. bei Rückenwind so ausgleicht, dass der Sportler das Gesamt-Ereignis erfolgreich und ohne Einbruch bestreiten kann. Wieviel Mehrleistung ist also jeweils möglich und machbar und führt das dann immer noch insgesamt zu einer schnelleren Zeit als dem Versuch, eine möglichst gleichmäßige Leistung von Anfang bis zum Ende beizubehalten?

Genau das hat David P. Swain scheinbar als erster nachvollziebar und mit physiologischer Basis modelliert. Und zwar in seinem 1997 erschienenen Paper: „A model for optimizing cycling performance by varying power on hills and in wind„, Medicine & Science in Sports & Exercise 29, August 1997. Lustigerweise bestätigt er in seinem Paper auch meine Behauptung in Aspekt 5.1. Ihm nach war es erst R.C. Kyle der in seinem 1988 publizierten Artikel „The mechanics and aerodynamics of cycling.“ In: Medical and Scientific Aspects of Cycling, erstmals mathematisch demonstrierte, dass der Zeitverlust in Anstiegen oder in Gegenwindabschnitten größer als der Zeitgewinn in Abfahrten oder bei Rückenwind ist, auch wenn über die Gesamtstrecke keine Netto-Höhenänderung erfahren wird oder sich Gegen- und Rückenwind über die Strecke aufheben. Na sie mal einer an. Das hätte ich jetzt nicht gedacht!

Das aber nur am Rande. David Swain hat in seinem Paper sowohl eine künstlich hügelige Strecke (10 km Gesamtlänge, alternierende 1 km Abschnitte Anstieg und Abfahrt) sowie auch eine windige Strecke (40 km Gesamtlänge, alternierend 5 km Gegenwind und Rückenwind mit je 0, 8, 16 und 24 km/h Windgeschwindigkeit) simuliert.

Auf diese Strecken hat er den Zeitbedarf von je 70 kg schweren Radfahrern mit unterschiedlicher Gesamtleistungsfähigkeit, ausgedrückt in Sauerstoff-Verbrauch über Ruhebedarf kalkuliert (3, 4 und 5 L/Minute). Deren Mehr-Leistung und entsprechende Erholung hat er dann in vier Stufen (0, 5, 10 und 15%) variiert und die Gesamtdauer der benötigten Zeit berechnet. Die erste Stufe mit 0 % Variation bedeutet also konstante Leistungsentfaltung. In den Abfahrten bzw. in den Rückenwindabschnitten wurde hingegen der aufgewendete Sauerstoffverbrauch so weit reduziert, dass am Ende über die Gesamtstrecke jeweils der gleiche leistbare Gesamtsauerstoffverbrauch erzielt wurde. Die Reduktion des Verbrauchs war dabei höher, da in den Abfahrten und auch Rückenwind-Abschnitten kürzere Zeit verbracht wird und damit auch weniger Zeit für die Erhohlung bleibt.

Das Ergebnis zeigt wenig überraschend das gleiche Prinzip auf, welches ich im Abschnitt zuvor erarbeitet habe. Jegliche Variation der Dauerleistung in Anstiegen oder in Gegenwindabschnitten führt zu einer Reduktion des Gesamtzeitbedarfs für die Strecke. Je höher die Variation (also je höher die Mehrleistung) ist, um so größer ist diese Reduktion.

Zweitens: Jegliche Variation der Leistung bei gleichbleibenden äußeren Bedingungen (keine Anstiege, gleichmäßiger Wind) verlängerte hingegen die benötigte Zeit ganz leicht. Nachvollziehbar – während der notwendigen Erholungsphasen wird länger in langsamerer Geschwindigkeit verbracht als während den Streckenabschnitten mit höherer Leistung mit leicht höherer Geschwindigkeit.

Pacing. Hah! Das ist doch spinnerter Kram für Leistungssportler und die letzten zwei Prozent. Da brauche ich mir als Hobby-Sportler keine Gedanken drum machen.“ Nein, eben nicht! Zum einen ist der Effekt und Nutzen sehr groß. Für Jeden. Und er ist sogar noch größer, je langsamer man insgesamt unterwegs ist. Denn – auch das haben wir ja gelernt: Je länger die Zeit ist, die wir auf den jeweiligen Abschnitten verbringen, um so größer wirkt sich auch die kleinste Geschwindigkeitsänderung aus.

Und drittens: Die Sportler mit der geringsten Leistungsfähigkeit profitieren am meisten von einem optimierten Pacing! Na – wer hätte das gedacht? Hier die Belohnung für alle die Interessierten, die am Ball geblieben sind und nicht schon in der Einleitung oder gar beim Lesen der Überschrift ausgestiegen sind. „Pacing. Hah! Das ist doch spinnerter Kram für Leistungssportler und die letzten zwei Prozent. Da brauche ich mir als Hobby-Sportler keine Gedanken drum machen.“ Nein, eben nicht! Zum einen ist der Effekt und Nutzen sehr groß. Für Jeden. Und er ist sogar noch größer, je langsamer man insgesamt unterwegs ist. Denn – auch das haben wir ja gelernt: Je länger die Zeit ist, die wir auf den jeweiligen Abschnitten verbringen, um so größer wirkt sich auch die kleinste Geschwindigkeitsänderung aus.

So spart der 3 L/min VO2 Mensch z.B. über das hügelige 10 km Zeitfahren ganze 200 Sekunden, wenn er seine Leistung in den Anstiegen um 10 % erhöht, wo der 5 L/min VO2 Mensch nur 110 Sekunden spart.

Was hier übrigens nachgewiesen wurde, ist, das Variables Pacing bei wechselnden äußeren Bedingungen vorteilhaft ist und bei konstanten äußeren Bedingungen nachteilig ist. Und das Even Pacing bei wechselnden Bedingungen von Nachteil ist, aber das Pacing der Wahl für konstante äußere Bedingungen darstellt. Weitere generelle Pacing-Strategien folgen im nachfolgenden Kapitel

Aspekt 6: physiologisch und mental bewusst sowie unbewusste Regulierung der Leistung über die Dauer einer (längeren) Aktivität

Hier wird es schwierig und wir betreten ein immer noch nur unvollständig verstandenes Terrain. Bei kurzen All-Out Efforts, die per Definition kaum länger als 3 Minuten andauern können (eigentlich sogar nur 30 Sekunden), ist es relativ einfach. Der Sportler muss alles geben was er hat und versuchen, diese Leistung über die Zeit aufrecht zu erhalten bzw. möglichst gering nachzulassen. Bei allen Dauern darüber hinaus kommt bewusstes und unbewusstes Pacing ins Spiel. Es sind dann nicht mehr die ultimativen Begrenzer der physikalischen Leistungsfähigkeit, die für die erreichte Zeit verantwortlich sind (maximale Sauerstoffaufnahme, Max 1-Rep etc.), sondern weitere Faktoren, die zur Regulierung der Leistung führen.

Je länger also die Aktivität dauert, sei es schon ein 800 m Schwimmen oder 10.000 Meter Lauf, auf jeden Fall aber bereits ein Marathon, um so mehr Gestaltungsspielraum ist dem Athleten (und seinem Körper) gegeben (aber auch gefordert), die Leistung über die Dauer der Aktivität zu regulieren. All-Out geht da nicht, weil wir sonst nach spätestens 3 Minuten erst mal nur noch „kriechen“ und so auf keinen Fall eine gute Gesamtzeit erreicht werden kann.

Und diese Regulation geschieht nicht vollkommen bewusst. Oder vielleicht sogar zum geringsten Teil bewusst. Schließlich kann niemand bewusst kalkulieren, wieviel Glykogen gerade noch in seinen Muskeln und der Leber verbleiben, dies im Kopf mit irgendeiner Hilfsgröße, sagen wir, Kilojoule, überschlagen und ausrechnen, dass er in 10 Kilometern das Drehmoment um 2 Newton reduzieren muss, wenn er die darauf folgenden 30 Kilometer noch ohne Einbruch schaffen will. Aber genau das sind die Regulierungen, die unser Körper zum großen Teil ohne unseren bewussten Einfluss jede Sekunde durchführt. Selbst wenn wir gerade wild entschlossen sind, die beste Zeit unseres Lebens in diesem oder jenen Wettkampf, sagen wir ein Marathon-Lauf, zu laufen – unser Körper ist die ganze Zeit damit beschäftigt aus den äußeren Einflüssen und inneren Abläufen heraus festzustellen, genau wieviel Leistung auf dem Boden ankommen darf. Um die verbleibenden 20 km oder 2 Stunden (bewusstes Wissen) bei der gerade herrschenden schwülen Hitze (äußerer Einfluss, Empfinden) mit den noch vorliegenden Reserven (teils bewusst mit dem Wissen „uh oh, es gibt nur noch eine Verpflegungsstation“, „Shit, meine Gels sind schon alle“, teils unbewusst – Blutzuckerspiegel, Stand der internen Glykogenvorräte etc.) noch zu schaffen, ohne dass der „Wirt“, also wir selbst, vor dem Ziel Schlapp macht oder schlimmer noch, kollabiert. In der Tat sind die weit aus meisten Menschen in so einem Status weit von einem Kollaps entfernt und stellen nach dem Zieleinlauf fest, dass sie eigentlich noch so viel mehr hätten geben können.

Ein Phänomen ist auch, dass es dabei quasi zu jeder Zeit, selbst wenn man meint, absolut nicht schneller laufen oder radfahren zu können, zu einem Zwischensprint oder auch Endspurt kommen kann. Wenn ein unmittelbarer Konkurrent überholt. Oder wenn überraschenderweise ein weit voraus gewähnter Konkurrent vor einem auftaucht. Oder plötzlich Publikum am Streckenrand auftaucht und anfeuert.

Wenn der Körper doch da scheinbar „ohne Probleme“ noch eine Schippe drauflegen kann – warum nicht schon vorher und an anderer Stelle? Zu diesem gesamten Thema möchte ich euch sehr das Buch „How Bad Do You Want It?: Mastering the Psychology of Mind over Muscle.“ von Matt Fitzgerald ans Herz legen. Hier habe ich eine kurze Rezension dazu geschrieben: Und nein, es handelt sich dabei nicht um vermeintlichen Sportpsychologie-Schmuh mit Visualisierungen und Träumereien sondern tatsächlich um eine sehr interessante Lektüre.

Diese von mir aufgeführten Aspekte fassen R. Tucker und T. Noakes in ihrem Paper aus 2009 „The physiological regulation of pacing strategy during exercise: a critical review“ (British Journal of Sports Medicine 2009 43) wie folgt zusammen: „There is evidence that during long duration exercise, the overall pacing strategy is mediated to prevent premature fatigue caused by a failure of one or more physiological systems. The resulting pacing strategy is thus proposed to be a marker of underlying physiological regulation, and alterations in pacing strategy occur due to changes in muscle activation in an anticipatory manner, based on afferent feedback from the various physiological systems and previous experience.

Der Konsensus scheint zu sein, dass der Körper eine gewisse Störung oder ein gewisses Ungleichgewicht seiner physiologischen Parameter duldet (Körperkerntemperatur, Muskel-Glykogen-Konzentrationen etc.) in Relation zur erwarteten Dauer bis zum Ende der Aktivität. Wobei auch die tatsächliche Erfahrung und Erwartung des Athleten eine große Rolle spielt. Jetzt ist es aber nicht so einfach, dem Körper bzw. sich selbst etwas vorzugaukeln. Etwa sich selbst bewusst zu sagen „Hah, es sind nur noch 10 flache Kilometer, gib alles, was du hast!„, wenn man selbst weiss oder es so einschätzt – nein, es sind in der Tat noch 15 km und ich weiss auch nicht, wie der Untergrund über diese 15 km aussieht. Das funktioniert nicht. Was auch nicht funktioniert, ist, ohne wirkliches Wissen über die noch verbleibende Zeit falsche Informationen mitgeteilt zu bekommen. Auch hierzu führen Tucker und Noakes andere Arbeiten an, in denen Athleten flasche Split-Zeiten bzw. Restdistanzen bei 20 oder 40 km Zeitfahren angegeben wurden. Es ist tatsächlich eher die eigene Erfahrung und Erwartung für die Dauer und Schwierigkeit der entsprechenden Aktivität, die regulierend herangezogen wird.

Nun – auch daran kann und muss man arbeiten. Es gibt z.B. viele Berichte von Profi-Radsportlern, die nach diversen „Durchbruchs-Rennen“ und auch nach dem Wechsel von einer „Leistungs-Liga“ in die nächste berichten, dass sie vor diesem Wechsel oder vor dieser oder jenen offenbarenden Leistung nie gewusst hatten, wie „tief“ man wirklich gehen kann und muss. Es ist halt etwas gänzlich anderes, die Leistung von Anderen zu Betrachten und sich zu fragen, wie das gehen kann. Oder die Kalkulation einer möglichen Zeit von einem selbst zu sehen – rein auf Basis eines Metabolischen Tests – die eine Zeit von 4 Stunden für einen Wettkampf aufzeigt, mit einer Dauerleistung, die man bisher vielleicht noch nicht mal für 1 Stunde aufgewendet hat. Als tatsächlich einmal (mit Hilfe von ganz neuer Motivation, unter besonderen Umständen, mit „Alles oder Nichts“ Erwartung, wie auch immer) in entsprechende Regionen vorgestoßen zu sein. Eine Durchbruchs-Leistung erzielt zu haben. Die dann für eine Rekalibrierung auch des unbewussten Systems sorgen kann. Danach kann man sich immer noch entscheiden, wie sehr man es denn will. Wieviel „leiden“ man in Kauf nehmen möchte. „How bad do you want it“, halt.

Allgemeine Pacing-Strategien (in Bezug auf die Leistungsvariation über die Gesamtdauer eines Events)

Bis jetzt habe ich viel über die grundlegenden Aspekte geschrieben, die aufzeigen, wie sich die Leistungsverteilung in unterschiedliche Zeiten bei unterschiedlichem Streckenterrain (Anstiege, Gegen- und Rückenwind) niederschlägt, warum das so ist und welche Leistungsverteilung demnach optimal und erreichbar ist. Und ich habe einen ganz kurzen Vorstoß in die umfangreiche Welt der psychobiologischen Regulierung von Ausdauer-Aktivitäten gewagt. Wenn wir einen Schritt zurück gehen und das Gesamtbild betrachten – welche generellen Pacing-Strategien haben sich daraus entwickelt bzw. entwickelten sich unabhängig davon einfach aus Versuch und Irrtum und Erfahrung? Wir können hier sechs allgemeine Pacing-Strategien benennen bei denen aber nicht vergessen werden darf, dass sie nicht nur für reine Solo-Aktivitäten sondern auch für Gruppen-Wettkämpfe mit mehreren Konkurrenten benutzt werden:

„All-Out“

Eigentlich ist das ja kein Pacing per se. Aber auch eine Strategie. Und auch für gewisse, kurze Sprintdistanzen sinnvoll. Hold and Fade.

Negative Pacing / Negative Split

Bedeutet: Eine etwas geringere Leistung zu Beginn bzw. in der ersten Hälfte einer Aktivität als gegen Ende.

Analysiert man diverse Weltrekorde, z.B. im Laufen über diverse Distanzen bis hin zu Marathon, stellt man fest, dass diese (scheinbar) oft mit einem auch sogenannten „negative Split“ erzielt wurden. Wie kann das sein, wenn wir doch festgestellt haben, dass bei gleichmäßigem Terrain und gleichmäßigen Bedingungen die konstante Leistung (also ein even Pacing) eigentlich die optimale Form der Leistungserbringung ist? Nun – im Durchschnitt höhere Leistung erzielt halt bei sonst gleichem Terrain auch eine schnellere Zeit. Der „Trick“ beim negativem Pacing ist also, damit zu einer insgesamt höheren Leistungserzielung über die Gesamtstrecke zu gelangen als es dem Athleten beim Anstreben einer konstanten Leistung möglich wäre. Ein angestrebtes Negative Pacing hilft auch dabei, den oft gemachten Fehler zu vermeiden, zu optimistisch und damit zu hart zu starten. Und dabei dann sogar in Leistungszonen abzudriften, die nicht dauerhaft zu halten sind und viel zu viele Kohlehydrate verbrauchen und ggfs. sogar die Glykogenreserven irreversibel zu entleeren, weil nicht genügend exogene Kohlehydrate nachgeführt werden oder gar werden können.

Warum habe ich oben aber ein „scheinbar“ in Klammern gesetzt. Nun – ich habe extra für diesen Artikel noch einmal nach Weltrekord-Zeiten und Splits recherchiert und da kommt es ganz auf die Auslegung des Autors an, welche Rekorde aus welchen Jahren und welche Disziplinen (10.000 Meter Lauf, Marathon, Schwimmen) zusammengefasst werden und ob eine Halbmarathon-Pace von 6,04 m/s in der ersten Hälfte und 6,07 m/s in der zweiten Hälfte jetzt als weiterer Stützpunkt für ein Negative Pacing gewertet wird oder ob es – und das wäre meine Bewertung – nicht eher ein Even Pacing aus dem Lehrbuch ist.

Positive Pacing / Positive Split

Bedeutet: Höhere Leistung in der ersten Hälfte als in der zweiten Hälfte der Aktivität.

Das ist oft das simple Resultat einer schlecht ausgeführten Pacing-Strategie. Nämlich einem zu starken Start, nach dem man dann „eingeht“ bzw. für den man dann büssen muss. Es kann aber auch und ist sehr häufig das Resultat einer unzureichenden Ernährungsstrategie, wenn gegen Ende die Glykogenspeicher zu sehr zur Neige gehen und dadurch entweder die Leistung akut beeinträchtigt oder die RPE (die Rate of perceived Exertion) deutlich steigt und zu bewusster oder unbewusster Leistungsbeschneidung führt. Beide Faktoren kommen besonders bei eher unerfahreneren Hobby und Amateur-Athleten zusammen. Renn-Nervosität auf der einen Seite und eine sehr viel schwächer ausgeprägte Grundlagenausdauer als bei Profi-Athleten sorgen dafür, dass früher in (zu) hohen Leistungsbereichen gefahren/gelaufen wird, die nicht auf Dauer durch die Zufuhr von Nahrung abgedeckt werden können. Ein Einbruch wird so unvermeidlich.

Die RPE kann aber gerade bei längeren Aktivitäten durch zunehmende Ermüdung (auch hier wieder: akute tatsächliche Ermüdung oder eher die Wahrnehmung von Ermüdung) steigen und damit zu diesem leistungsmindernden Effekt führen. Da wären wir bei dem Themenkomplex von Askept 6 des vorhergehenden Kapitels.

Positive Pacing kann aber gerade in Ultraendurance-Events, ja, selbst schon bei Aktivitäten kaum länger als einem Marathon-Lauf auch bewusste Strategie sein. In dem man sich vollkommen bewusst ist, dass man nach mehr als 12 h oder an Tag 2, 3 oder spätestens 4 in Folge aufgrund von unvermeidbarer suboptimaler Versorgung, von Schlafmangel, körperlichen Blessuren etc. ohnehin nicht mehr die Leistung erbringen kann, wie man sie frisch erbringen könnte. Und dies unabhängig davon, ob man sich Anfangs etwas mehr geschont hätte oder nicht. Sprich: natürlich wird man bei diesen Events (normalerweise) nicht in hohen Leistungszonen oder gar All-Out starten. Aber sich darüber hinaus noch in Erwartung der kommenden Stunden oder Tage besonders zu schonen, würde die mögliche Anfangsgeschwindigkeit nur negativ beeinträchtigen, ohne „hinten heraus“ zu irgendwelchen positiven Leistungszuwächsen zu führen.

Und selbst Marathon-Weltrekorde wurden vor noch nicht all zu langer Zeit in (moderaten) Positive Splits gelaufen. Denn auch schon dort hat man natürlich mit Ermüdung zu kämpfen und vor allen Dingen leidet auch (außer bei der absoluten Weltelite) die Lauf-Effizienz und damit der Wirkungsgrad in der zweiten Hälfte eines Marathons.

Even Pacing / konstante Leistung

Wie wir nachgewiesen haben die effektivste Form der Leistungsbereitstellung. Aber halt nur optimal für gleichmäßige Kurse. Also komplett flach oder gleichmäßige Steigung (Bergzeitfahren) ohne wechselnden Wind. Deswegen nimmt es auch nicht Wunder, dass die typische Marathon-Bestzeiten Even Pacing sehr nahe kommen. Mal leicht positiv, mal negativ. Die Kurse sind vorwiegend flach, aber Bedingungen wie Sonneneinstrahlung, Wind und Zuschauer wechseln dann doch. Auch sind das schon sehr spezielle Veranstaltungen mit Pacemakern und Konsorten. Klar – die Leistung muss man erst mal auf den Boden bringen. Höchsten Respekt davor. Aber es sollte klar sein, dass ein normaler Marathon und damit eine Marathon-Zeit absolut nicht mit der Zeit vergleichbar ist, die ein Athlet für sich komplett alleine, ohne Windschatten, ohne Hasen, ohne Unterstützung erreichen kann. Deswegen finde ich besonders auch den inoffiziellen Weltrekord von Kipchoge unter 2 Stunden ein eher Gimmickhaftes Konstrukt. Eher vergleichbar mit einem Steher-Rennen hinter einem windschatten gebenden Motorrad auf perfekter Radrennbahn als einem „Race of Truth“, einem waren Solo-Effort eines Zeitfahrens. Aber das nur am Rande.

Parabolic Pacing / U- and J-Shaped

Bedeutet: Ein starker Anfang, gefolgt von einer eher schwächere Mitte und dann einem starken Ende. Je nach Gesamtdauer der Aktivität ist das starke Ende dann ein regelrechter Endspurt. Man kann entsprechende Leistungsverteilungen je nach Ausprägung des Trogs in der Mitte als eher U-förmig oder als eher J-förmig beschreiben. J-förmig dann, wenn man eher schwächer beginnt und sehr stark endet (sozusagen ein negativ überprägtes parabolisches Pacing). Und revers J-förmig, wenn man eher stark beginnt und zum Schluss noch einmal zulegt, aber nicht die Leistungshöhen wie zu Beginn erreicht.

Zu dieser spezifischen Leistungseinteilung im Hinblick auf ein bewusstes Anstreben schon in der Planung der Bestreitung eines Wettkampfes gibt es wohl noch wenig konkrete Forschung. Zumindest war das der Stand 2008, als Chriss R. Abbiss und Paul B. Laursen ihren Artikel „Describing and Understanding Pacing Strategies during Athletic Competition“, Sports Med 2008, 38, verfasst haben. Im Nachgang bei der Auswertung eines Ereignisses wird man aber ohnehin immer auf Mischformen von Pacings stoßen. Um so mehr in jüngerer Zeit, wo man von einer sehr groben Sichtweise (Zwischenzeiten erste Hälfte und zweite Hälfte eines Rennens) auf immer detaillierte Abschnittsbetrachtungen dank GPS-Aufzeichnungen und Massendaten zurückgreifen kann. Diese können entweder geplant sein, das Ergebnis von äußeren Umständen oder auch der Vielzahl der Einflüsse sein, die ich in Aspekt 6 angerissen habe. Nicht wenige davon wird man zumindest grob als ein parabolisches Schema abbilden können.

Variable Pacing

Diese Pacing Variante greift die Erkenntnisse auf, die ich in Aspekt 5 dargelegt habe. Es ist klar erwiesen und erprobt, dass das Anpassen der Leistung an das Terrain bzw. den Wind jeweils die schnellsten Zeiten für den jeweiligen Kurs ergeben.

Mischformen

Anstreben kann man viel, aber aus vielen Umständen heraus wird sich, besonders bei Rennen länger als ein typischer Marathon-Lauf, immer eine Mischform einstellen, wenn man sein Rennen im Nachgang analysiert. Und für uns Radfahrer, die nach 2 bis 4 Stunden nicht mal warmgefahren sind, sind solche Reinformen wie z.B. dem eines Even Pacing von vornherein suboptimal und nicht erstrebenswert. Es kann nämlich in keinem Fall erwartet werden, dass die äußeren Bedingungen konstant sind (außer ihr sucht euch einen ganz speziellen Straßenkurs wie den Fliegerhorst Zeltweg für euer Vorhaben aus: Christoph Strassers sagenhafter 24h Weltrekord oder wollt sogar im Velodrom eure Runden drehen).

Im Mindesten müssen also die Erkenntnisse in Bezug auf das variable Pacing berücksichtigt und angezielt werden. Trotzdem kann es sein, dass ein Leistungsverlust über den Verlauf der Aktivität eintritt oder nicht vermieden werden kann. Also über alles gesehen ein Positive Pacing resultiert. So werden also die Anstiege schon stärker gefahren als z.B. Flachstücke und Abfahrten sowieso. Aber insgesamt gesehen nimmt die Durchschnittsleistung (oder normalisierte Leistung) trotzdem ab und liegt gegen Ende der Aktivität niedriger als gegen Anfang. Das macht für Ultra-Events (eigentlich sogar schon ab 4 bis 8 Stunden) sogar effektiv Sinn. Da Anfangs noch die volle Effizienz und vermutlich der beste Wirkungsgrad für die Ausübung der motorischen Fähigkeiten und auch die höchsten kognitiven Leistungen zur Verfügung stehen.

Was mir oft passiert und was ich vermute, was bei sehr vielen Sportlern der Fall sein dürfte, solange sie sich genügend gut verpflegen bzw. auch die Ausdauer haben, um am Ende noch Leistungsreserven zu haben, ist das folgende. Und zwar ist das die Mischform aus Variablem Pacing mit über allem gesehen einer Parabolic Pacing Kurve. Einem frischen Start, ohne über-enthusiastisch zu sein und im vollem Bewusstsein, nicht dem beliebten Fehler des zu harten Beginns zu erliegen. Aber trotzdem mit dem Ziel, das beste aus dem frischen Start und den vollen Speichern zu machen. Aus dem besten Wirkungsgrad, dem man wohl über die gesamte Aktivität besitzen wird, bevor eine leichte Ermüdung, Pufferprozesse und andere Dinge im Körper ablaufen. Und der höchsten Konzentration und auch geringsten Ermüdung der unterstützenden Haltemuskulatur etc. Dann folgt in der Mitte einer sehr langen Aktivität das „Loch“ auch aus unbewusstem Zurückhalten des Körpers, aus dem ich mich immer durch bewusste mentale Anstrengung befreien muss bzw. vermeiden muss, dieses Leistungs-Tal zu groß werden zu lassen. Und dann gegen Ende das unbewusste wie auch bewusste nahende Ende der Strecke.

Bewusste und unbewusste Gedanken sind da z.B. „Jetzt ist deutlich über die Hälfte geschafft.“, „Jetzt sind es nur noch 3 Stunden…“ (z.B. in einem auf 9 Stunden geschätzten Event) und auch „Jetzt sind es nur noch 1,5 h – dass ich die auf Dauer in Sweetspot fahren kann, komme was da wolle, weiss ich 100 %

Bewusste und unbewusste Gedanken sind da z.B. „Jetzt ist deutlich über die Hälfte geschafft.“, „Jetzt sind es nur noch 3 Stunden…“ (z.B. in einem auf 9 Stunden geschätzten Event) und auch „Jetzt sind es nur noch 1,5 h – dass ich die auf Dauer in Sweetspot fahren kann, komme was da wolle, weiss ich 100 %„. Und dann der Versuch, auf den letzten Metern noch alles aus den Speichern herauszufahren – was natürlich nicht gelingt. Am Ziel stehe ich bei allem „Drücken“ dann doch immer noch recht frisch da und könnte eigentlich noch weiter fahren… Hier muss eigentlich mein Ziel sein, auch in der Mitte eines solchen typischen Orbit-Kurses von 8 bis 10 Stunden beispielsweise, noch mehr Druck zu machen, um eher in Richtung eines „Even Pacing“ overall (mit natürlich variabel an das Terrain angepasster Leistung im Detail) zu gelangen.

Alles Zusammengenommen – das sind die 10 Schlüssel zu erfolgreichem Ultra-Pacing:

Ganz zurück an den Anfang: für welche Rennen oder Aktivitäten gelten diese Tips vorrangig? Vorrangig für das Rad fahren. Vorrangig für individuell gezeitete oder zumindest zum größten Teil ohne unmittelbare Wettbewerber fahrend (in deren Windschatten man ausruhen oder auf deren Aktionen man unabhängig vom eigenen Pacing reagieren muss). Und vorrangig für Rennen, die zwischen einer und 24 Stunden (bis vielleicht maximal 48 Stunden) Dauer aufweisen. Alles darüber hinaus profitiert zwar ebenfalls von allen folgenden Tips, aber es kommen noch essentielle Sachen zu Schlafstrategie, Verpflegung, Problemlöse-Fähigkeit und Intra-Race-Logistik hinzu, die hier nicht das Thema sind.

Mir ging es in der Motivation zu diesem Artikel wie gesagt am meisten um typische Gravel-Rennen im Einzel-Zeitfahrmodus.

1. Speed möglichst konstant halten, nicht Leistung!

Eine Möglichkeit, ganz automatisch zu variablen Pacing zu gelangen ist, sich zu verinnerlichen, die Geschwindigkeit möglichst konstant zu halten. Das wird natürlich nicht immer gelingen, schon gar nicht, wenn die Gradienten im höheren ein- oder gar zweistelligen Prozentbereich liegen. Und es ist auch nur in den engen Grenzen ratsam, die im Rahmen der eigenen Leistung und auf jeden Fall unterhalb der Schwellenleistung liegen. Aber dass ist der Schlüssel und Hintergrund warum das variable Pacing zu den schnellsten Zeiten führt. Und Speed, d.h. die Geschwindigkeit, dass ist es, was am Ende die gute Zeit bringt. Nicht die hohe Leistung, die an unpassender Stelle verpufft. Oder nur kurz hochgejagt und dann wieder heruntergebremst wird. Das bringt mich zu Schlüssel Nr. 2:

2. Über Kuppen Speed mitnehmen

Wenn eine Abfahrt nur lang, gut asphaltiert, steil und gerade genug ist, erreichen wir auch ohne treten irgendwann die maximale Endgeschwindigkeit im Hinblick auf unsere Gesamt-Aerodynamik und Rollwiderstände. Bis es aber soweit ist, vergeht viel zu viel Zeit. Jemand, der vom Stillstand einer Hügelkuppe aus losrollt, verliert viele 100 Meter und viele Sekunden gegenüber jemandem, der über den Hügel kraftvoll weiterpedaliert und dann mit höherer Startgeschwindigkeit in die Abfahrt geht. Das gilt sowohl für Solo- wie auch Massenstart-Events. Gegenüber denjenigen, die oben auf der Kuppe oder dem Pass erst einmal durchschnaufen (oder gar eine Pause machen), reisst derjenige sofort eine Lücke (oder gewinnt wertvolle Zeit), der die Leistung seines Anstieges noch über die vollständige Kuppe weiter pedaliert. Oder gar noch einen Kicker kurz vor der Kuppe startet, wenn er in der Abfahrt die Selektion herbeiführen möchte.

3. Immer in Bewegung bleiben, Stops minimieren Teil 1

Biobreaks – also z.B. zum Wasser lassen – oder das Offnen sich hartnäckig wehrender Riegelverpackung wie z.B. auch das Überstreifen einer wärmeren Windweste etc.) sollten im Anstieg durchgeführt werden. Bzw. dann, wenn man ohnehin vom Rad muss (Schiebestrecke, Baum überklettern) oder steht (Ampel, Bahnübergang – Wobei das mit dem Biobreak an einer Ampel oder einem Bahnübergang eher nicht zu empfehlen ist ;-)). So erfährt man möglichst wenig Verlust in Bezug auf Verzögerung und Wiederbeschleunigung.

Wenn erforderlich, immer mehrere Dinge auf einmal machen. Also z.B. Jacke rausholen und anziehen, wenn man eh zum Wasserlassen anhalten muss und dabei gleichzeitig schon mal eine Riegelverpackung öffnen, wenn man diese als Verpflegung gewählt hat und im Fahren Schwierigkeiten damit hat.

4. Immer in Bewegung bleiben, Stops minimieren Teil 2

Gerade für Selbstversorger-Rennen oder auch Gravel-Rennen ist es teilweise erforderlich, unterwegs Nahrung und Wasser bzw. Getränke nachzufüllen. In einem Rennen oder ITT von vielleicht nur 8 h kann man es sich aber schlicht nicht leisten, eine Viertelstunde in einem Supermarkt einzukaufen und dann vielleicht im Anschluss im Stehen noch einen Joghurt zu löffeln. Selbst das schnelle rein und raus in eine Tankstelle, die direkt an der Strecke liegt, ist suboptimal, wenn man seine Verpflegung doch bereits komplett mitführen kann (Gels, Riegel, Drinkmix) und ggfs. nur fließendes Wasser zum Flaschen Nachfüllen benötigt. Das es vielleicht sogar in Form von Brunnen oder Friedhöfen direkt am Streckenrand ohne jeden Umweg zu finden gibt.

Keine Stops nur wegen Schmacht! „Oh, es ist so heiß, jetzt eine Cola aus dem Kühlregal!“ Nope! Kühlung ist bei heißem Wetter wichtig, aber in den seltensten Fällen auf Kosten von Extra-Stops. Ein eiskalte Cola mit auf’s Rad zu nehmen, wenn man eh gezwungen ist, Wasser oder Verpflegung nachzufassen, ist dann ok und gut. Aber – klar. Hier gilt es besonnen auf die äußeren Umstände und die eigene Verfassung zu reagieren: 40 Grad im Schatten, aber kein Schatten weit und breit in Sicht und ihr kocht quasi schon – dann tut das Richtige und achtet auf eure Gesundheit!

5. Essen, Essen, Essen (oder Trinken, Trinken, Trinken)

Alleine aus dem Fettstoffwechsel und aus den (hoffentlich zu Rennstart gut gefüllten) Glykogenspeichern des Körpers kann selbst der fettadaptierteste Athlet keine guten Leistungen abrufen – zumindest nicht für die Zeiträume bis 24 oder 48 Stunden, um die es hier vorrangig geht. Für maximale Leistung muss eine optimale Energieversorgung während des Rennens aufrechterhalten werden. Die Grundlagen dazu, wie man sich kompetitiv auf dem Rad ernährt und welche Möglichkeiten es dazu besonders auch in flüssiger Form gibt, habe ich in diesem schon mehrfach verlinkten ersten Teil dieser Mini-Serie aufgeführt: Flüssigverpflegung auf dem Rad. Trinknahrung, Kohlehydrat-Energiepulver und mehr.

Selbst wenn ihr eine sehr niedrige VLAmax habt (was das genau ist und wie sich das auf die verbrauchte Menge an Fetten vs. Kohlehydraten auswirkt, dazu habe ich auch schon etwas u.a. im genannten Artikel zu Flüssigverpflegung geschrieben, werde aber auch noch in dem nächsten Teil dieser Mini-Serie detaillierter darauf eingehen), solltet ihr eine Kohlehydratmenge im Bereich zwischen 60 bis 90 g pro Stunde anstreben (ein Wert, der übrigens unabhängig vom Körpergewicht eines Athleten gilt). Soviel kann ich vorweg nehmen – ich bin bei meinen 7 gefahrenen Orbits dieses Jahr hervorragend mit rund 60 bis 70 g KH pro Stunde zurecht gekommen. Viel viel besser als letztes Jahr mit einem wilden Mix aus Mini-Donuts, Mini-Berlinern, Kuchen, Riegeln und Erdnussbutter-Gelee-Sandwiches. Wobei jedes einzelne dieser aufgeführten Nahrungsmittel eigentlich lecker ist und ordentlich Kohlehydrate beeinhaltet. Aber irgendwann kann man (ich zumindest) sie trotzdem nicht mehr sehen und vor allen Dingen will man gar nicht so oft und andauernd kauen, wie es nötig wäre. Trinken, ggfs. mit ein paar Gels ergänzt, geht aber immer.

6. Die richtige Perspektive: Du bist in einem Rennen!

Ich habe mal anderswo als Empfehlung gelesen: „You are not racing!“. Quasi als Selbstschutz für die Athleten, sich nicht in die Hitze des Wettkampfs zu verlieren und zu hart anzugehen – was in der Tat kontraproduktiv wäre. Und es gibt bestimmt eine Klientel, denen man das mit dem Holzhammer beibringen muss und die sich trotzdem nicht behelfen können, am Start zu versuchen, mit anderen, viel schnelleren Leuten mitzuhalten oder bei individuell gezeiteten Events viel zu hart zu starten.

Und dann gibt es ja noch diese Strömung, dass Wettbewerb böse ist und das wir alle ganz spezielle und liebe Schneeflocken sind. Erlebnis vor Ergebnis und all dieses. Es gibt einen Zeit und Ort dafür. In der Tat – dieser Ort ist überall und diese Zeit ist jederzeit. Richtige Rennen hingegen, die sind selten. Es ist schön, dass es sie gibt. Und wenn man davon eines, zwei oder drei, vier pro Jahr auswählt, dann will man ja genau dieses Rennen erleben. Mit allem, was dazu gehört. Also Erlebnis und Ergebnis.

Nimm es an! Versuch‘ dein Bestes. Nicht von vornherein (oder nach den ersten 10 Kilometern) sagen oder denken: ach – ich bin doch eh nicht für das Rennen hier. „Wie – ich nicht schnell genug? Ach quatsch, niemals! Ich habe mich nur nicht angestrengt. Bewusst nicht. Was sind das für arme Wichte, die hier mit verbissenem Gesicht versuchen, eine möglichst gute Zeit zu absolvieren? So jemand bekommt ja gar nichts links und rechts von der Strecke mit!“ Spricht’s und verwischt jeden Anschein, es je versucht zu haben. Ich kann euch bestätigen, das viel schnellere Leute als z.B. ich super links und rechts der Strecke die Landschaft genießen können.

Doch das nur am Rande – mir geht es um den ersten Absatz in diesem Abschnitt. Nicht, „du bist nicht in einem Rennen“, sondern das Gegenteil: „Du bist in einem Rennen“. Das muss ich mir bei solch langen Events von 6 bis 14 Stunden wie einem individuell gefahrenen Gravel-Orbit immer vor Augen halten. Auch in einem Ultracycling-Rennen wie einem Transcontinental, Trans Pyrennees, Three Peaks Bike Race und anderen, wenn der Leistungsmesser Angaben weit unter der Mitte der Zone 2 anzeigt und ich mir sagen muss „Los jetzt, du solltest ohne Probleme mehr können, komm‘ du hast es in dir!“ anstelle selbstzufrieden mit 120 Watt an Tag 7 eines zweiwöchigen Rennens einen Berg hoch zu lullern.

7. Normalized Power so hoch wie es geht (bis in den Tempobereich), ohne in den Anstiegen über die Schwelle zu gehen

Das betrifft das variable Pacing und auch den Tipp Nr. 1. Wie hoch sollte denn die Mehrleistung in den Anstiegen oder im Gegenwind nun sein? Auf keinen Fall – oder nur bei sehr kurzen Rennen und kurzen Anstiegen – über eure Schwellenleistung gehen. Wenn ihr eine gewisse Basis habt, dann sind Anstrengungen bis an die Schwelle bzw. eher bis in den Sweetspot-Bereich gut machbar und müssen es auch eigentlich sein. Gerade bei Gravel-Rennen mit vielen Anstiegen kommt man sonst auf keinen grünen Zweig. Man muss die Abfahrten so gut es geht als erzwungene und willkommene Erholung nutzen, so ruppig sie teilweise auch sein mögen.

Im Endeffekt habe ich das in den Anstiegen angezielt und war da auch nie drüber – das bedeutet aber gleichzeitig auch, das ich über eine Gesamtanstieg gesehen oft nur 10 bis maximal 20 Minuten im Schnitt in der Mitte meiner Zone 3, also Tempobereich, verbracht habe. Und das für den sehr höhenmeterlastigen Deister Delta Orbit mit seinen 200 km Länge und 4500 Höhenmetern. Sprich nach meist 15 bis 20 Minuten folgt dann auch wieder eine Abfahrt, in der keine Leistung in die Pedale (wohl aber aktive Körperarbeit auf dem Bike) investiert wird. Im Endeffekt betrug meine maximale 1 Stunden-Leistung 191 Watt (oberer Grundlagenausdauerbereich), die maximale Leistung über 5 Stunden 162 Watt und die normalized Power betrug 192 Watt – also ebenfalls im Bereich meiner Grundlagenausdauer. Macht Sinn, schließlich war ich 10 Stunden unterwegs und es war ein hartes Stück Arbeit. Ihr seht aber – da wäre noch etwas Luft gewesen. Über alles war das gerade mal ein Intensitätsfaktor von 69 % meiner Schwellenleistung.

8. Positives Denken!

Habt Spaß an der Sache! Wir werden nicht dafür bezahlt, sondern betreiben unsere Leidenschaft aus… nun ja, Leidenschaft. Etwas Leiden gehört also dazu, aber es ist nicht der Hauptantrieb. Diverse Forschungsarbeiten weisen nach, dass „positives Denken“ tatsächlich auch einen positiven Einfluss auf die Performance hat. Ja, dass allein und tatsächlich ein bewusst forciertes Lächeln (auch wenn einem gar nicht danach sein sollte), die wahrgenommene Anstrengung leicht reduzieren kann.

Menschen mit einer positiven Grundstimmung und intrinsischer Motivation (die also die Aktivität für sich machen, weil sie Spaß an der Sache haben oder weil ihnen die Landschaft durch die das Rennen geht etwas bedeutet und gibt) sind viel eher in der Lage, auch bei kleineren bis größeren Problemen Ruhe zu bewahren und das Rennen erfolgreich zu bestreiten. Viel eher jedenfalls, als Menschen, die extrinsisch motiviert sind. Die etwas also nur machen, weil sie jemand anderes etwas beweisen wollen, weil sie ein bestimmtes Resultat verfolgen oder solche Dinge. Sobald dort auch nur der kleinste Riss in ihrem Renngeschehen auftritt oder die erhoffte Platzierung nicht mehr möglich erscheint, kann sich die gesamte Motivation auch durch scheinbar kleinste Unpässlichkeiten vollständig in Luft auflösen. Wird man selbst auch patzig und fahrig während des Haderns mit diversen Unpässlichkeiten oder empfundenen Nachteilen „Was für ein nachteiliges Wetter ausgerechnet heute und hier nur für mich!“ gerät man auch leichter in eine Negativ-Spirale, macht mehr Fehler, nimmt mehr vermeintliche Nachteile wahr usw.

Es ist daher nicht unerwartet, dass z.B. Beedie et al in ihrem Paper „The profile of mood states and athletic performance: two meta-analyses.“ im Journal of Applied Sport Psychology aus dem Jahr 2000 Hinweise finden, dass Emotionen eine große Rolle in der Gesamtperformance spielen und das Gewinner entsprechender Wettbewerbe eine angemessene emotionale Grundhaltung an den Tag legen die anscheinend auch positiv ihre Gesamt-Ökonomie in der Leistungsentfaltung beeinflusst und das Risiko von Verletzung minimiert.

9. Aerodynamik, Gewicht und Rollwiderstand sind „Free Speed“

Jaja, „Aero is everything“ und die Gegenreaktion „Nein, Aerodynamik wird überbewertet“ bis hin „Weight isn’t everything“… Alles schon mal gehört. Wird auch gerne je nach Tagesform oder Agenda mehr oder weniger betont. Klar – keine Wahrheit ist absolut und es kommt immer auf den Zusammenhang an. Aber die Zahlen lügen nicht. Wenn es euer Rad hergibt und das Rennen hergibt, dann nutzt alle Möglichkeiten aus, das Rad, eure Ausrüstung und euch selbst so leicht wie möglich und so aerodynamisch wie möglich zu machen. Und die Reifen nur so breit und grobstollig wie nötig zu wählen und solche mit möglichst geringem Rollwiderstand zu wählen. Die Zahlen seht ihr eindrücklich im Abschnitt zum Aspekt 5 im vorletzten Kapitel. Und auch in diversen anderen Artikeln hier bei mir im Blog. Z.B. hier: MTB vs Gravelbike – was ist schneller? Aerodynamik und Rollwiderstandtests für Jedermann (Chung Methode, GoldenCheetah Aerolab, Aerotune.com und co).

10. Suche deine Eltern mit Bedacht aus

Am Ende des Tages sind alle vorgenannten Tips wichtig. Aber auch wenn man für sich das perfekte Rennen fährt – es gibt immer jemanden, der ist einfach schon von Haus aus ohne Training schneller als du. Der ultimative Pacing Hinweis ist daher, schneller zu starten als jeder andere Teilnehmer, diese hohe Leistung länger aufrecht zu erhalten als die anderen Teilnehmer und stärker und mit weniger Abfall dieser Leistung bis ganz zum Ende des Events zu fahren. Das ist auch die lapidare Erkenntnis jeder Auswertung von Leistungs-Einteilungen in Ultra-Ausdauer-Events. (z.B. Angela Heidenfelder et al. 2016: Pacing Strategies of Ultracyclists in the “Race Across America” oder Mike I. Lambert et al. 2004: Changes in Running Speeds in a 100 km Ultra-Marathon Race).

Also – go for it! ;-)

9 Kommentare

  1. Sehr guter und aufschlussreicher Artikel. In der Theorie stimme ich deinen Überlegungen zum Krafteinsatz in Steigungen und dem daraus zu erzielendem Zeitvorteil zu. In der Praxis sieht es aber (zumindest bei mir) deutlich anders aus. Meine Beobachtung ist, dass es mir in der Ebene und leichten Steigungen deutlich leichter fällt konstant höhere Leistungen zu treten als im Anstieg. Je größer die Steigung wird, desto geringer wird unweigerlich die Kadenz und desto unrunder wird mein Tritt. Es fällt mir also deutlich schwerer eine konstante Leistung in der Steigung abzugeben. Stattdessen ergeben sich Leistungsspitzen im Tritt welche im Ergebnis die Muskulatur stärker ermüden als die gleichmäßige Leistung mit hohen Kadenzen in der Ebene. Das zeigt ja auch sehr schön deine Quadrantenanalyse. Das ganze verrstärkt sich dann noch je nach Beschaffenheit des Untergrunds. Zumindest sind meine Versuche während der Orbits am Berg mehr zu investieren immer mit Laktat und einem Einbruch in der Ebene (wenn es die dann mal gab 😆) quittiert worden. Ich denke, dass der daraus resultierende Zeitverlust deutlich größer ist. Gerade bei langen Strecken macht für mich deshalb das Modell „negative Pacing in den Steigungen“ bezahlt 😜.

    1. Interessant – keine Regel ohne Ausnahme also. Ja, es gibt auch Menschen, denen liegt auch von der Pedalierkinematik die Ebene mehr.

      Dennoch, ideal ist es dann nicht, wenn am Berg eher sogar weniger Leistung investiert wird. Aber natürlich besser, als sich bei dem Versuch es zu tun, sauer zu fahren.

    2. Ich denke, wenn der Tritt am
      Anstieg zu unrund wird, könnte eine andere Übersetzung helfen oder gar eine Untersetzung. Wenn die Frequenz zu sehr sinkt, lässt sich Leistung nur noch über das Drehmoment erzeugen. Ich kann mir vorstellen, dass bei dir das Drehmoment am Berg höher ist als in der Ebene.

      Mega interessanter Artikel. 😊

      1. 🤣nicht wirklich. Ich versuche gerade zu Beginn auf der Langstrecke nicht jedem „Schnellstarter“ hinterherzujagen. Die Erfahrung zeigt, dass man diese meistens relativ bald wieder einsammelt.

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