Und schon geht es in der großen Dropbar-MTB Artikelserie weiter. In der Artikelserie, die viel an Infos und Hintergründen, aber auch Ideen und praktische Anleitung nicht nur für den Auf- oder Umbau eures Dropbar-Mountainbikes, sondern auch ähnlicher Räder, wie 29″ Adventurebikes, Monstergraveller etc. beinhaltet.
Und das Thema dieses bereits 4. und vorletzten Teiles geht sogar alle an, die einen 1x Antrieb an ihrem Rad haben. Egal ob es einen Rennlenker hat oder nicht. Und egal ob es ein reines Mountainbike oder ein reines Gravelbike ist.
Als Navigationshilfe durch alle Teile der Serie könnt ihr die folgenden Links verwenden:
- Teil 1 zur Motivation: Warum Gravel immer mehr zu (MTB-)Offroad wird
- Teil 2 zum Lenkverhalten und Handling von Flatbar und Rennlenker
- Teil 3 mit Schaltungsoptionen für den Rennlenker und Bremsenauswahl
- Teil 4 zum 1x Antrieb und zur Übersetzungsauswahl (den habt ihr hier vor euch)
- Teil 5 mit Hinweisen und Bildern zum Aufbau und finalen Dropbar Exceed
Also dann! Wir sind hier in dieser Artikelserie wie auch generell in der Mountainbike-Welt zielgerichtet auf sogenannte 1x Antriebstränge (1x Drivetrains) bzw. Einfach-Kettenschaltungen hingesteuert, die vorne ganz auf einen Umwerfer verzichten und nur noch ein Kettenblatt aufweisen.
Das macht ein paar Dinge einfacher, viele Dinge aber auch schlechter. Ich möchte die vielen für und wider und die langen (und oft richtigen) Diskussionen seit der maßgeblichen Einführung (auch mit viel Marketing besonders durch Sram) von 1x Schaltungen hier nicht widerkäuen. An passender Stelle weise ich (ob hier im Blog, auf Instagramm oder in direkten Gesprächen) sowieso des öfteren immer auf gewisse Aspekte hin. Nein, hier will ich euch zeigen, wie ihr die für euch passende Kettenblattgröße finden könnt und was es gerade bei Mountainbike-Kurbeln und -Kettenblättern durch das Thema Boost und Superboost für einen möglichst rasselfreien, effizienten und langlebigen Antrieb zu beachten gilt.
Immerhin können wir bei 1x wenigstens das Thema Gangsprünge dank 12fach (und teilweise 13fach) Schaltwerken auch bei großer Bandbreite (die Differenz zwischen kleinstem und größtem Ritzel), wie wir sie gerade im Offroad-Bereich und für das Bikepacking haben wollen, ad acta legen. Fast, wenigstens. Uns spielt dabei in die Hände, dass auf typischen unbefestigten Wegen wie z.B. im Wald sowohl Gradient wie auch Untergrund-Rauheit ständig wechseln. Dort kommt man daher selten in die Lage, eine besonders feine Abstufung zwischen zwei Gängen bzw. zwei Ritzeln zu vermissen. Ja, eine zu feine Abstufung wäre manchmal sogar nachteilig, weil man dann eh „drüberschalten“ müsste, weil sich Rauhheiten und Gradienten oft eher stark ändern und daher dann auch pro Schaltvorgang eine deutliche Übersetzungsverhältnisänderung gewünscht ist.
Das sieht aber schon bei schön glatten Waldwegen und auch bei längeren Anstiegen anders aus. Nochmal anders auf Asphalt und wenn man dann noch sowohl steile Wege gemütlich herauf- wie auch schnelle, sanft abfallende Gravel- oder Asphaltstraßen mit Druck hinab-pedalieren will, ist der Ofen ganz aus. Für eines muss man sich entscheiden. Und das muss dann mit der Wahl der Kettenblattgröße geschehen. Spätestens für ein reines Gravelbike (#onroadoffroadrepeat) bleibt daher der 2x-Antrieb das einzig Wahre. Aber auch beim MTB, 29er Adventurebike oder beim Monstergraveller muss man mit 1x immer noch Kompromisse eingehen.
Deswegen sei hier noch mal wiederholt: 1x Antriebe werden vorrangig eingesetzt, weil sie Bequem sind. Nicht, weil sie die effizienteste oder gar beste Lösung insgesamt wären.
Deswegen sei hier noch mal wiederholt: 1x Antriebe werden vorrangig eingesetzt, weil sie Bequem sind. Nicht, weil sie die effizienteste oder gar beste Lösung insgesamt wären. Die Fahrer:in muss absolut nichts denken – nur mit einem Hebel leichter oder schwerer schalten. Mehr nicht. Entwickler:innen müssen sich keinen Kopf mehr um Unterbringung und Gestaltung des Umwerfers oder dessen Kollision mit immer breiteren Reifen machen und verlagern einfach alles nach hinten.
Aber diese Bequemlichkeit hat ihren Preis. Nicht nur in Verlagerung des Gewichts weg vom Schwerpunkt des Rades nach hinten, nicht nur durch länger und länger werdende Schaltwerkskäfige, nicht nur durch Kompromisse in Gangsprüngen vs. Bandbreite sondern ganz besonders auch im Hinblick auf Kettenschräglauf und damit Antriebseffizienz und Antriebsverschleiss!
Wie groß sollte man also sein Kettenblatt wählen und wie stellt man sicher, dass der Kettenschräglauf nicht übermäßig groß wird?
Was ist Kettenschräglauf?
Bei jedem Kettenantrieb mit mehreren Ritzeln auf der Kassette gibt es nur genau ein Ritzel, dass in Fahrradachse gesehen genau auf gleicher Linie hinter dem Kettenblatt liegt. Auf allen anderen Ritzeln muss die Kette vom Kettenblatt aus kommend mehr oder weniger schräg laufen, um dieses Ritzel zu erreichen. Je weiter außen in Vergleich zum Kettenblatt das Ritzel ist, umso schräger muss die Kette verlaufen.
Bei einem 1x System wäre es jetzt also idealerweise so, dass das Kettenblatt in einer Linie mit der Mitte der Kassette liegt. Damit sowohl nach „unten“ wie nach „oben“ ein gleicher und nicht zu starker Kettenschräglauf erforderlich wäre. Oder das Kettenblatt liegt in einer Linie mit den meist benutzten Ritzel(n). Dann ist es aber in der anderen Seite der Kassette umso ineffizienter.
Wie beeinflusst der Kettenschräglauf die Effizienz eines typischen 1x Antriebs?
Je größer das Kettenblatt, je größer das Ritzel und je kürzer die Kettenstreben sind, umso betonter wird jeglicher Kettenschräglauf. Auf umso kürzerer Distanz muss sich nun die Kette von den Zähnen des Ritzels lösen (schabt und reibt da schon an den Flanken der Zähne), seitlich in die Richtung zum Kettenblatt biegen (mehr Reibung in allen Kettenelementen), dann wieder vor dem Kettenblatt in die Radachse zurückbiegen (noch mehr Reibung) um schließlich mehr schlecht als recht auf die Zähne des Kettenblattes aufzufädeln (nochmal mehr Reibung). Nicht nur die Reibung und damit sowohl die Wattverluste werden extrem, sondern die Arbeit, die eben nicht in den Vortrieb, sondern in die Kette geht, vernichtet diese regelrecht. Das wird potenziert, wenn der im Offroadbereich allfällige Schmutz, Staub oder gar Matsch ins Spiel kommt.
Wir sprechen hier jetzt nicht mehr über die anfangs des Teil 3 beim Vergleich zwischen Shimano und Sram erwähnten rund 3 Watt Verlust bei einer sehr guten (z.B. Shimano 12fach) Kette im Vergleich zu rund 5,5 Watt bei einer Sram 12fach Flattop-Kette oder gar vielleicht 6-6,5 Watt bei einer Sram 12fach Eagle Kette. Das sind Werte für eine absolut saubere Kette ohne Schräglauf. Immer noch sauber, jetzt aber mit Schräglauf kann dieser Wert sehr schnell auf 10 bis 13 Watt ansteigen!
Siehe dazu diesen Effizienzvergleich zwischen 1x zu 2x Antrieben (Quelle Velonews, verlinkt von diesem Artikel), wo ihr aber selbst etwas Denkleistung investieren müsst. Denn ich spreche momentan rein von den Verlusten in der Kette, während diese Grafik auf Vergleichen von kompletten Antriebssträngen (1x Sram mit Kettenblattgröße 48 und Kassette 10-42 ggü. Shimano 2x mit 53/39 Heldenkurbel vorn und Kassette 11-34) beruht. Damit aber thematisch voll passend ist. Ohne Informationen über die im Test verwendete Kettenline (folgt als nächster Unterabschnitt) und die Kettenstrebenlänge zu haben, sieht man aber direkt, wieviel Watt man bereits bei sauberer Kette in Kombination von Kettenschräglauf und sehr kleinem 10er Ritzel im Antriebsstrang verpuffen lässt: fast 19 Watt! Und diese 19 Watt gehen direkt in das Schmirgeln eurer so sauer verdienten Komponenten ein.
19 Watt Verlustleistung auf dem kleinsten (10er) Ritzel für die 1x Schaltung. Schon bei sauberer Kette! Diese 19 Watt gehen direkt in das Schmirgeln eurer sauer verdienten Komponenten ein. Bei Staub und Dreck sind es noch mehr Watt und noch mehr Verschleiss.
Wenn jetzt noch Staub oder Sandwassergemisch ins Spiel kommt, potenzieren sich die Wattverluste (und der Verschleiss) besonders von 1x Antriebssträngen.
Nun gut – wir haben uns ja dafür (für 1x) entschieden. Wir sehen aber, welches Optimierungspotenzial da drin steckt. Wir sollten also alles tun, damit wir wenigstens die gravierensten Auswirkungen im Zaum halten.
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass das kein esoterisches „Fitfucker“ und „Nerd“-Thema ist, das keine Relevanz für einen Wochenend-Bummler oder Alltagsradler hat. Wenn der Kettenschräglauf zu groß wird, wird selbst der gemächlichste Mensch durch eine laut rasselnde Kette genervt und merkt, das hier was im Argen liegt. Durch zu starken Kettenschräglauf und vernachlässigte Pflege sowie schlechte Kettenöle/-wachse wird obendrein nicht nur richtig Leistung liegen gelassen sondern auch richtiges Geld verbrannt. Alle 1.500 Kilometer eine neue Kette 1x offroad anstelle alle 10.000-15.000 Kilometer 2x Gravel- und Straße? Keine übertriebenen Verhältnisse sondern durchaus im Bereich des Möglichen und für die 2x Schaltung tatsächliche Zahlen von mir. Dazu kommt noch die Kassette und auch das Kettenblatt, welche ebenfalls für teures Geld ersetzt werden müssen.
Was ist der Boost-Standard (Naben, Antrieb)
Trek und Sram waren’s. 2015 führten diese den Boost-Standard in der MTB-Welt ein. Damit wurden sowohl Vorder wie auch Hinterradnaben breiter. Vorne haben wir deshalb heutzutage 15×110 mm Steckachsen (gegenüber 12×100 bei Rennrädern und Gravelbikes) und hinten 12×148 mm Steckachsen (gegenüber 12×142 Standard). Uns interessiert hier allerdings rein das Hinterrad. Nicht nur die Laufradachsen wurden breiter, auch das Kettenblatt rückte in gleichem Maß (3 mm) weiter nach außen. Dieses Maß ist die Kettenlinie und sie war ehedem bei MTBs eher so bei 49 mm. Seitdem beträgt sie also mindestens 52 mm. Warum das Ganze? Theoretisch können die Laufräder stabiler und steifer eingespeicht werden. Wesentlicher aber war, dass man so mehr Reifenfreiheit realisieren konnte. Sowohl vorne zwischen den nun weiter auseinander stehenden (Feder-)gabelholmen wie wichtiger noch hinten im Bereich des Tretlagers und beim Antrieb (samt Kette selbst). Heutige MTBs und dort Hardtails haben eigentlich nur noch Boost-Standard. Und manche Full-Suspension-Räder gehen sogar noch weiter und setzen auf das sogenannte Super-Boost Plus (mit Achsweite 157 mm).
Was ist die sogenannte Kettenlinie?
Die Kettenlinie (Chainline) ist ein Maß. Gemessen von der Längsachse des Fahrrades zur Mitte der Zähnen auf dem Kettenblatt. Für genau das Ritzel auf dieser Kettenlinie erhalten wir also eine komplett gerade verlaufende Kette ohne jeden seitlichen Schräglauf. Typische Kettenlinien für 1x-Antriebe im Mountainbike-Bereich reichen von rund 52 bis 57 mm und berücksichtigen damit den heutigen Boost-Standard. Hört sich nach nicht viel an, bedeutet aber letztlich bei unverändertem Hinterrad und unveränderter Kassette ein volles Ritzel weiter links oder rechts in der Kassette, die ebenfalls bei einem Boost-Laufrad weiter außen (3 mm) als bei einem normalen Rennrad- oder Gravelrad-Hinterrad sitzt. Und das ist schon entscheidend.
In der Tat waren es genau zwei (oder drei) Dinge, die mir beim ersten Draufsitzen und Fahren meines Exceed nach dem Auspacken (noch komplett in der originalen Version samt Flatbar) aufgefallen sind: a) Wow, fährt sich geil und b) hmm, die Kurbel fühlt sich irgendwie weiter als erwartet an und warum rasselt der oberste Gang (51er Ritzel) so stark? Das kenne ich gar nicht von meinem Thrill Hill, welches ja den gleichen Shimano-Antriebsstrang (allerdings XTR) hat.
Den Grund fand ich schnell heraus: Q-Faktor und Kettenlinie. Hier der Unterschied zwischen zwei Kettenlinien an meinem Exceed. Links mit der originalen Shimano SLX Kurbel und der Kettenlinie 56,6 mm und rechts mit einer Shimano XTR Kurbel und Kettenlinie 52 mm.

Mit einer 56,6 mm Kettenlinie läuft die Kette exakt gerade, wenn sie hinten auf das 5. Ritzel von rechts geschaltet ist. Mit einer 52 mm Kettenlinie rückt die gerade Kettenlinie genau diese 4,6 mm weiter nach innen und damit genau auf dem 6. Ritzel. Das ist das entscheidende Ritzel weiter innen, so dass die Kette nur noch 6 anstelle 7 Ritzelabstände verschränken muss. Zudem sind 7 Ritzel weiter nach innen nochmal schlechter in Bezug auf Schräglauf als 7 Ritzel weiter nach außen, weil die inneren Ritzel schnell größer werden und damit der Kettenschräglauf zusätzlich verstärkt wird.
Auch so und mit der minimalsten Kettenlinie ist die Situation für steile Anstiege und damit großem Zeitanteil in den obersten bzw. innersten Ritzeln nicht ideal. Aber immerhin so gut es geht! Um es noch besser zu machen, bräuchten wir ein 2x Kettenblatt.
Aber ich habe ja auch noch den Q-Faktor erwähnt. Wie hängt der mit der Kettenlinie zusammen und welche Kurbeln, Kettenlinien und Q-Faktoren gibt der Markt denn her?
Der Q-Faktor
Der Q-Faktor ist im eigentlichen Sinne gar kein Parameter des Antriebsstrangs sondern „nur“ das Maß zwischen der Außenseite beider Kurbelarme, dort, wo die Pedal-Gewindelöcher liegen. Eure Schrittweite ist dann der Q-Faktor plus 2 mal der Abstand von der Außenseite der Kurbelarme bis zur Pedalmitte.
Die Schrittweite bestimmt, wie eng beieinander (und damit hoffentlich möglichst für eure körperlichen Gegebenheiten ideal) eure Füße stehen und beeinflusst damit die komplette kinematische Kette eures Körpers beim Pedalieren. Aber nicht nur das, sondern auch, wie weit eure Fersen von einer möglichen Kollision mit Kettenstreben entfernt sind, die bis zur Hinterradachse so breit werden müssen, dass sie eine Boost- oder Superboost Plus-Nabe unterbringen können.
Das ist noch viel kritischer für die Kurbel an sich. Da ist es dann der Q-Faktor, der nicht beliebig klein sein kann, sondern mit Boost und mit der Kettenlinie, eigentlich aber mit der gewünschten Designfreiheit für bereits nahe am Tretlager weiter auseinander stehendere Kettenstreben, mitwachsen musste.
Also wird man keine riesig weite Kettenlinie an einer Kurbel mit einem sehr schmalen Q-Faktor vorfinden. Trotzdem gibt es aber für eine gegebene Kettenlinie durchaus Kurbeln mit unterschiedlichem Q-Faktor und umgekehrt.
Was bedeutet das nun?
MTB-Kurbeln haben heutzutage breitere Q-Faktoren als früher und als heutige Rennräder und Gravelbikes. Diese haben Kurbeln mit typischerweise Q-Faktoren von 150 mm oder gar etwas schmäler. MTB-Kurbeln haben dagegen Q-Faktoren von rund 162 mm bis zu fetten 181 mm!
So weit so gut. Das ist ja nichts sehr Neues (außer, wenn man sich bisher mit MTBs noch gar nicht befasst hat) und sowohl Kettenlinie als auch Q-Faktor waren kein besonderer Grund für Besorgnis bei meinem anderen MTB, meinem vollgefederten Rose Thrill Hill. Aber an meinem Exceed war es wie gesagt das Erste, was mir sofort aufgefallen ist. Ein wenig von der Schrittweite her, die sich schon eher weit anfühlte. Ich hatte das zu dem Zeitpunkt auf meine längere MTB-Abstinenz zurückgeführt und war sicher, dass ich mich da nur wieder etwas eingewöhnen musste. Viel problematischer war aber der zweite Effekt, dass optisch und auch hörbar die Kette einen wirklich extremen Schräglauf aufwies, wenn ich auf dem größten Ritzel unterwegs war. Das hat mich erst dazu gebracht, der Sache auf den Grund zu gehen.
Viel hilft eben nicht viel, sondern nervt (und raubt Watt)
Ich konnte ja direkt beide Räder (Exceed und Thrill Hill) vergleichen. Es stellte sich heraus, das mein Canyon Exceed in der ausgelieferten Version eine Shimano SLX-Kurbel mit Kettenlinie 56.6 und einem geradezu gigantischen (dem größten verfügbaren) Q-Faktor von 181 mm verbaut hatte. Wohingegen mein Rose Thrill Hill mit einer Shimano XTR-Kurbel mit Kettenlinie 52 mm und Q-Faktor 162 mm geliefert wurde (dem kleinsten verfügbaren).
D.h. sowohl Kettenschräglauf wie auch Schrittweite waren keine unbegründeten Eindrücke oder einer zu langen Abstinenz vom Mountainbiken geschuldet, sondern beruhten auf sehr realen und sehr extremen Parameterunterschieden. Das zeigt auch sehr schön: Dem oberflächlichen Betrachter (und dem typischen Internet-Foren-Nutzer) mögen die wenigen Millimeter Unterschied als nicht beachtenswert vorkommen. Sie äußern sich aber extrem und eindrücklich in sowohl Antriebsfunktion wie auch Ergonomie.
Nun ist es gut, dass für unterschiedliche Hinterbaukonstruktionen unterschiedliche Kettenlinien und Q-Faktoren verfügbar sind. Ich würde aber immer die „schlankste“ Kurbel (den geringstmöglichen Q-Faktor) und die engste Kettenlinie wählen.
Warum Canyon nun beim Exceed CF 6 eine so breite Kurbel verbaut, ist mir ein Rätsel. Spekulation Nr. 1: Entweder war es der Teile-Versorgung in Covid-Zeiten geschuldet und bevor Räder auf Halde liegen, weil die passende Kurbel fehlt, wurden einfach welche mit größeren Q-Faktoren als üblich vorgesehen verbaut? Spekulation Nr. 2: Um möglichst große Kettenblätter auch nachträglich durch den Kunden einsetzbar zu machen, wird die weitestmögliche Kurbel verbaut. Das wäre aber ein Bärendienst an den Kunden.
Wie dem auch sei: welche Kurbeloptionen gibt es denn hinsichtlich Q-Faktor und Kettenlinie? Das zeige ich kurz am Beispiel Shimano. Dort kauft man entsprechende Kurbeln und setzt immer das gleiche Kettenblatt ein. Während es bei Sram eher über die Kettenblätter mit unterschiedlichen Offset bewerkstelligt wird (da dann aber halt nur für die Kettenlinie, der Q-Faktor bleibt auf diese Weise natürlich unbeeinflusst). Für extremere Fälle sind aber auch da unterschiedliche weite Kurbeln vorgesehen. So ist es auch bei Drittherstellern. Man kann auch Kettenblätter mit unterschiedlichen Offsets mit Shimano-Kurbeln kombinieren, wenn man denn möchte. Da gibt es einiges an Auswahl.
Bei den aktuellen Shimano-Kurbeln sieht es nun wie folgt aus. Man kann jedes Shimano-Kurbelset in 3 verschiedenen Kettenlinien- und Q-Faktor-Abmessungen kaufen:
Für die Shimano-XTR-Kurbeln gibt es die folgenden Modellnummern, Kettenlinien und Q-Faktoren:
- XTR 9100: Kettenlinie 52 und Q-Faktor 162 <— diese habe ich am Thrill Hill
- XTR 9120: Kettenlinie 52 und Q-Faktor 168
- XTR 9125: Kettenlinie 55 und Q-factor 174
Und für z.B. die Shimano SLX-Kurbeln diese hier:
- SLX 7100-1 Kettenlinie 52 und Q-Faktor 172
- SLX 7120-1 Kettenlinie 55 und Q-Faktor 178
- SLX 7130-1 Kettenlinie 56,5 und Q-Faktor 181 <— diese hatte ich am Exceed
Das ist natürlich ein fetter Unterschied. Wir sehen auch, dass man bei Shimano die „schlankste“ Kurbel beim Topmodell, der XTR-Kurbel erhält. Mit der SLX kommt man selbst bei 52 mm Kettenlinie nicht unter den Q-Faktor 172.
Ich hatte sogar die SLX 7130 am Exceed CF 6. Das war mir viel zu breit! Muss da auch gar nicht sein, wenn man Kettenblätter bis maximal 34 Zähnen fahren möchte. 36 mm könnte wahrscheinlich auch noch passen, wird dann aber schon sehr eng. Für ein 38 mm Kettenblatt (wahrscheinlich das maximal mögliche am Exceed) wird man dann aber definitiv auf eine Kettenlinie von 55 mm (oder gar 56,5) wechseln müssen. Und muss dann auch bein einer XTR-Kurbel einen Q-Faktor von 174 mm in Kauf nehmen. Oder bei einer SLX-Kurbel einen Q-Faktor von 178 oder 181 mm.
Welchen Raum Canyon am Exceed für mögliche Kettenblätter vorsieht, kann man anhand des aufgebrachten Schrammschutz-Blechs an der Kettenstrebe ersehen, die im folgenden Foto gemeinsam mit einer montierten XTR-Kurbel und einem 32 Zahn-Kettenblatt abgebildet ist:
Wie ihr seht, habe ich auch direkt praktisch ausprobiert, dass und ob meine XTR-Kurbel aus dem Thrill Hill auch an das Exceed passt. Und da ich an der XTR-Kurbel alles mag – Optik, Gewicht, Kettenlinie und Q-Faktor, habe ich mir kurzerhand eine zweite gekauft und so das Exceed auch dauerhaft damit versehen.
Als Kettenblatt habe ich mir allerdings eines von Garbaruk ausgesucht. Und zwar das Garbaruk Kettenblatt Round Direct Mount | 1-fach narrow-wide Shimano XTR M9100 | 34T. Das war nicht nur preiswerter, sondern sogar noch 17 g leichter als das gleich große Shimano XTR-Kettenblatt:
Wie bin ich nun genau auf die 34 Zähne gekommen, die ich als Kettenblattgröße ausgewählt habe? Das folgt jetzt.
Übersetzungssuche, d.h. welches Kettenblatt soll’s denn sein?
Generelle Aspekte
Welche Aspekte spielen bei der Übersetzungswahl eine Rolle? Vor allem natürlich die Bandbreite an maximal möglichen Steigungen und Gefällen, die man mit einer bestimmten Kadenz, also Trittfrequenz und einer minimalen oder maximalen Geschwindigkeit fahren möchte.
Durch die Wahl unserer Kassette sind dabei sowohl Bandbreite der Schaltung wie auch Gangsprünge vorgegeben. Diese Kassette soll im folgenden als fix angesehen werden und ist die Shimano SLX, XT oder XTR-Kassette 10-51.
Mit der Wahl des Kettenblatts können wir jetzt die Lage dieser Bandbreite nach oben oder unten verschieben. Und damit beinflussen, wie langsam wir sein wollen, wenn wir im leichtesten Gang sind und wie schnell wir sein wollen, wenn wir im größten Gang sind.
Das ist jetzt komisch geschrieben und eigentlich ist auch die Geschwindigkeit nur eine Hilfsgröße. Denn mit den üblichen Angaben von Entfaltung oder Übersetzung können die wenigsten Leute etwas anfangen. Und auch mir fällt es mit diesen Werten schwer, ohne direkten Vergleich abzuleiten, ob das genau die Übersetzung ist, die ich möchte. Aber die Geschwindigkeit hilft natürlich auch nur bedingt. Zwar ist es schön zu wissen, dass ich mit einem 51er Ritzel und einem 34er Kettenblatt bei 90er Kadenz 8,38 km/h schnell bin. Aber ob das für mich schon zu leicht für meine maximalen Steigungsgradienten ist oder ich dafür 100 Watt über meiner Schwellenleistung treten muss, das hängt ganz von der Steilheit des jeweiligen Anstiegs ab. Aber auch von dessen Untergrund und meinem Reifensetup (Rollwiderstand) und der Größe der Laufräder (Abrollumfang).
Wesentlicher ist daher eigentlich die gewünschte Leistung, die ich für entsprechende Strecken aufwenden möchte.
Kleiner Exkurs: Und tatsächlich: wenn man Kettenblätter und Kassetten für Wettbewerbe (vom Straßenrennen bis zum Einzelzeitfahren) optimiert, dann ist das genau die Frage: Welche Leistung soll über welchen Zeitraum und Streckenanteil am überwiegensten Gefahren werden? Von welchem Rollwiderstand und welchem Luftwiderstand muss ich ausgehen? Daraus ergibt sich dann mit dem Streckenprofil die Geschwindigkeit. Und mit der optimalen Kadenz dann eine Reihe von möglichen Gangkombinationen aus Kettenblatt vorne (hier am MTB haben wir ja nur eines) und Ritzel hinten. Die Optimierung besteht nun darin, diese Übersetzung genau in die Kettenlinie zu legen und dort ein Ritzel zu haben, das nicht zu wenig Zähne aufweist. Damit hat die Kette die höchst mögliche Effizienz. Kein Schräglauf mindert diese und der Umschlingungsfaktor um ein zu kleines Ritzel wird nicht zu groß. Je weniger Zähne ein Ritzel hat, umso kleiner ist sein Radius, um so mehr muss sich jedes Kettenglied gegeneinander verschränken, um da herum zu laufen. Und je mehr Reibung tritt auf. Genau so und nicht anders werden, egal ob bei 1x oder 2x Antrieben Kettenblattgröße und Ritzelpakete ausgewählt, wenn es um Sekunden geht.
Das macht aber auch für uns Hobbyluschen Sinn. Z.b. fahre ich an meinem Zeitfahrrad auch ein Sram 1x System und habe da die Kettenblattgröße so abgestimmt (hinten machen die verfügbaren Optionen nicht so viel aus), dass ich bei üblichen Zielgeschwindigkeiten auf der Ebene und unter Berücksichtigung meines dort geringen Luftwiderstands (Aerorad, Aeroposition) nicht ganz außen Ketten muss oder mir gar die Gänge ausgehen. Kleiner Exkurs Ende.
Und genau dasselbe ist es auch beim MTB – es wäre ziemlich Blöd, wenn man zwar mit seinem 51er (oder bei Sram gar 52er) Ritzel und einem 30er Kettenblatt selbst mit Nasenatmung locker einen 20 % Anstieg hochkurbeln kann, aber in der Ebene (und von leicht abfallenden Strecken will ich gar nicht reden) jedesmal flucht, weil selbst mit Kolibri-Flügelschlag-Trittfrequenz die Beine regelrecht „durchfallen“ weil man gar nicht so schnell kurbeln kann oder will, wie es selbst für lockere Wattzahlen erforderlich wäre, damit noch etwas Gegendruck vorzufinden ist und man das Gefühl hat, etwas zum Vortrieb beizutragen. Schon bei ganz leichtem Gefälle die Beine „hochzunehmen“ weil man eine Kadenz oberhalb von 100 bräuchte, um noch wirklich schneller zu werden, ist extrem unbefriedigend.
Auswahl auf Basis von Vorlieben, Anwendungsfällen und Leistungsfähigkeit
Die Wahl des Kettenblattes ist also auch von euren Vorlieben, eurem Anwendungsfall und eurer Leistungsfähigkeit abhängig.
- Kadenz: meine Wohlfühl-Durchschnittskadenz im gemischten Terrain liegt bei 80 und sinkt mit zunehmenden Alter und abfallenden Trainingsumfang eher, als dass sie ansteigt. Es würde gar keinen Sinn machen, mir bei einem Übersetzungsrechner maximale Geschwindigkeiten auch mit kleinem Kettenblatt in der Ebene schön zu rechnen, die ich nur mit 110er Kadenz erreiche. Das ist was für einen kurzzeitigen Sprint, aber nichts, womit ich die Übersetzung und das Ritzel auswählen könnte, dass ich überwiegend fahre.
- Anwendungsfall: betrifft sowohl Untergrund (Rauhheit), Steigungsverhältnisse und Modus des Unterwegs seins (Tour, Rennen oder sogar Gepäck dabei). Je rauer, je steiler und je gemütlicher bzw. schwerer bepackt es wird, umso kleiner kann und sollte dann das Kettenblatt werden. Man muss sich dann aber bewusst sein, dass man es früher als einem oftmals (oder in anderen Modi – Rennen, Lust am Tempo, knackige Feierabendrunde) lieb ist, einfach die Beine hochnehmen muss und sich etwaige Mitfahrer mit 2x-Antrieben einfach nur noch von hinten anschauen kann.
- Zu klein sollte das Kettenblatt übrigens auch bei Bikepacking-Veranstaltungen auch nicht sein, auch wenn manche (auch sehr erfolgreiche und viel schnellere Menschen als ich es bin) Bikepacking-Rennteilnehmer für extreme Rennen wie z.B. ein Atlas Mountain Race sogar ein 30er Kettenblatt bei einer 10-51 oder 10-52 Kassette empfehlen. Das hängt wieder mit persönlichen Vorlieben zusammen. Ja, es ist richtig, dass man es einfach rollen lassen sollte, wenn man mit dem kleinen Blatt eh nicht sonderlich in der Ebene bei gutem Rückenwind oder bei leicht abfallender Strecke treten kann. Diese Erholung ist dann meistens hochwillkommen (wenn’s nicht wirklich stundenlang hintereinander weg so geht – dann hat man wirklich verwachst). Aber es nützt ja auch nichts, dass man im Prinzip auch am steilen Berg eine 90er Kadenz auch bei gut möglicher und entsprechend niedriger Dauerleistung treten kann, wenn man das gar nicht will, sondern eher mit 50 bis 60er Kadenz daher kurbelt (Kreislauflast, mentale Energie und notwendiges schnelles Feuern der entsprechenden Motoreinheiten der Muskeln – alles sehr auf sehr niedrigem Niveau, vielleicht gerade bei nicht so top-fitten Menschen). Und je langsamer die Kadenz bei (zu) kleinem Kettenblatt, desto langsamer die Geschwindigkeit. Das ist gut, weil dann weniger Leistung gebraucht wird. Das ist aber schlecht, wenn man dabei in Umkipp-Gefahr gerät. Deswegen – und hier nur am Rande gesagt: ich teile diese Ratschläge nicht und wollte kein kleineres Kettenblatt als 32 Zähne an einer 10-51er Kassette fahren wollen. Auch nicht im Bikepacking und auch nicht im Atlas.
- Und zu guter Letzt legt natürlich eure persönliche Leistungsfähigkeit das gewünschte Grundniveau für die Kettenblatt-Auswahl fest. Wer eine Ausdauerleistung von 230 Watt sein eigen nennen kann, und die den lieben langen Tag tritt, der ist sowohl in der Ebene wie auch im Anstieg auf einem ganz anderen Geschwindigkeitsniveau unterwegs, als jemand wie ich, bei dem das eher so 170-190 Watt sind. Wenn man es ganz genau nehmen wollte, dann müsste man die Leistung jeweils noch relativieren. Und zwar bei steilen Anstiegen in Bezug auf das Gesamt-Systemgewicht, also in Watt/kg und in der Ebene und im leichten Gefälle in Bezug auf den Luftwiderstand, also in Watt/CdA.
Vergleichsmöglichkeiten und Ritzelrechner
Versuch macht kluch (sic!) und für die Vorbereitung des Versuchs oder auch für die Übertragung von vorhandenen, aber nicht ganz so passenden Vergleichsmöglichkeiten gibt es schöne Hilfsmittel im Internet.
Da gibt es z.B. schon seit vielen Jahren den bekannten Ritzelrechner von dem wahrscheinlich schon jeder halbwegs enthusiastische Radfahrer schon mal irgendwann gehört hat. Und vielleicht habt ihr ihn ja auch schon des öfteren mal benutzt.
Und wenn ihr dies alles hier liest, stehen die Chancen gut, dass das Dropbar-MTB eurer Wahl, welches gerade in Planung ist, oder auch das Gravelrad, für das ihr vielleicht gerade eine angepasste Schaltung sucht, nicht euer erstes und derzeit einziges Rad ist. Ihr habt also schon eine gute Vorstellung und Erfahrung, ob euch eure bisherige Schaltung, z.B. auch am Gravelrad oder Rennrad ausreicht oder wo ihr Schwachstellen seht, die es auszumerzen gilt. Vielleicht ist ja alles gut und schön, aber es muss nun wirklich eine viel leichtere Bergübersetzung herbei. Oder es soll von den Möglichkeiten eigentlich idealerweise fast alles so bleiben, wie es bei der 2x-Schaltung eures anderen Rades ist und nun bestmöglich mit der am Dropbar-MTB vorgesehenen 1x Schaltung abgedeckt werden.
Das beste ist natürlich ein 1:1 Versuch am Objekt der Wahl. Also das ausführliche Probefahren der gewünschten Schaltung am entsprechenden Rad oder wenigstens an einem Rad der gleichen Kategorie. In meinem Fall also entweder direkt an meinem neuen Canyon Exceed oder an meinem anderen MTB, dem Rose Thrill Hill. Wichtig: mit gleicher Laufradgröße (29er) und in gleichem Terrain-Mix.
Wenn das vorliegt, dann braucht man auch keinen Ritzelrechner, sondern kann durch das Ausprobieren ganz genau herausfinden, ob einem die Schaltsprünge und das Schalten behagen, ob es einem nach oben hin leicht und nach unten hin schwer genug geht. So wusste ich schon im Vorfeld meines Exceed Kaufes, dass ich mit einem 32er Kettenblatt (das habe ich am Thrill Hill) für den Einsatzzweck meines Dropbar-MTBs nicht glücklich werden würde. Aber würden 34 Zähne schon ausreichen? Oder wären 36 Zähne noch besser? 38 Zähne wäre vermutlich schon zu groß für die gewünschte Kletterfähigkeit. Und ohnehin die maximal denkbare Größe für das Exceed (und aus Kettenlinienerwägungen heraus wäre bei maximal 36 Zähnen ohnehin schon Maximum erreicht). Das kann man natürlich auch einfach ausprobieren. Aber nur, wenn man die passenden Kettenblätter zu hause herumliegen hätte oder die einem jemand leiht. Wenn nicht, und auch wenn kein MTB mit der richtigen Schaltung zur Verfügung steht, dann kommt der Ritzelrechner ins Spiel.
Erfahrungen und Vergleichswerte übertragen + Reifen-Umfang, Aerodynamik und Rollwiderstand berücksichtigen
Übersetzungsverhältnis-Rechner wie der sehr schöne Ritzelrechner berücksichtigen rein geometrische Verhältnisse. Zahnzahl vorne, Zahnzahl hinten und Reifenumfang. Pro Kurbelumdrehung gibt das einen entsprechend zurück gelegten Weg und mit der Anzahl der Kurbelumdrehungen pro Minute (Kadenz) auch eine Geschwindigkeit. Daneben können auch Übersetzungsverhältnis, Zahnzahl und Entfaltung sowie Gear-Inches grafisch angegeben werden. Und auch zwei verschiedene Schaltungen miteinander verglichen werden. So sieht das dann z.B. aus:

Was der Ritzelrechner euch nicht vermitteln kann, ist ein Gefühl für die erforderliche Leistung bei den angegebenen Geschwindigkeiten. Was man vielleicht beim kleinsten Ritzel noch mit Achselzucken abtun kann (und was dennoch komplett falsch wäre): „Ach, 40 km/h fahre ich sowieso nie und wenn doch, dann trete ich eben schneller“ wird dann schnell zur Frage: „Hmm, wie oft fahre ich denn wirklich mit 33 km/h in der Ebene und was heisst das in Bezug auf meine Wohlfühl-Leistung, die ich durchschnittlich in einer Tour so fahre?“
Denn das wäre bei im obigen Beispiel für ein 32er Kettenblatt schon das zweitletzte, bzw. das zweite Ritzel von rechts. Und ihr wollt nicht schon beim normalen Fahren in der Ebene soweit außen auf der Kassette fahren (Effizienz, Verschleiss) und genausowenig wollt ihr nur noch einen Gang Reserve haben, wenn es doch ein bisschen Bergab geht, Rückenwind herrscht oder ihr mal Druck auf’s Pedal geben wollt.
Wer seine Fahrten regelmäßig per GPS-Radcomputer aufzeichnet und auf Portale wie Strava hochlädt (und – wer macht das heutzutage nicht?) oder sie gar in Trainingsanalysesoftware wie z.B. GoldenCheetah abspeichert, der kann natürlich auf quantitative Erfahrungswerte zurück greifen und sich mal seine Hausstrecken anschauen und in Bezug auf Geschwindigkeits-Klassen auswerten. Oder er hat sogar Zugriff auf die Daten des Schaltwerks (bei Sram AXS oder Shimano Di2) und kann direkt sehen, wo er wie lange in welchem Gang gefahren ist.
Wenn es zu viel Mühe machen sollte, sich in seine eigenen Strava-Aufzeichnungen hineinzufuchsen, oder man eine Übersetzung auswählen oder ein Rad aufbauen möchte, dass für ganz andere Einsatzzwecke und Strecken gedacht ist, dann kann man sich hervorragend über Überlegungen und Erfahrungswerte zur notwendigen Leistung behelfen. Dabei kann es schon ausreichen, sich das folgende zu Überlegen:
„Oh, 32 Zähne sind am MTB mit normal bestollten Reifen und mit Flatbar in der Ebene schon zu knapp bemessen. Mit einem Rennlenker bin ich automatisch aerodynamischer und vielleicht will ich ja auch besonders leicht laufende Reifen einsetzen – ich muss also einiges an Puffer drauflegen, wenn ich die Geschwindigkeitsangaben aus dem Ritzelrechner am unteren Ende der Kassette bewerte.“
Hier kann der Quervergleich zum Rennrad oder Gravelbike helfen, das in meinem Fall und aus gutem Grund einen 2x Antrieb aufweist. Vorne 33 / 46 und hinten 10-36. Hier bin ich von der Körperhaltung ziemlich identisch wie auf dem Dropbar-MTB unterwegs. Natürlich muss ich beim Vergleich darauf achten, die richtigen Reifendimensionen für beide Räder einzugeben. In meinem Fall und den hier gezeigten Ritzelrechner-Grafiken für das Gravelbike 700c Reifen in 40 mm Breite und für das MTB 29-Zoll Reifen mit 57 mm Breite.
Wenn wir nochmal auf die obere Grafik blicken, dann ist das genau der abgebildete Vergleich. Oben die 2x-Schaltung mit 33/46 zu 10-36 auf 40/622 Reifen und unten die 1x-Schaltung mit 32 zu 10-51 auf 57/622 Reifen.
Was auf einen Blick zu sehen ist: der fahrbare Bereich der 1x-Schaltung ist nach links verschoben. Er fängt also bei deutlich kleineren Entfaltungen an (toll für steile Anstiege), hört aber auch schon rechts viel früher bei noch gar nicht so großen Entfaltungen und entsprechenden Geschwindigkeiten bei hier eingestellter 90er Kadenz auf (nicht so toll für Druck in der Ebene oder leichten Abfahrten). Man sieht noch eine Menge mehr, aber für’s Erste konzentrieren wir uns darauf.
Am rechten Ende bietet die 1x Schaltung mit dem 32er Kettenblatt die folgenden 3 letzten Geschwindigkeiten bei einer 90er Kadenz: 28,7, 33,5 und 40,2 km/h. Ist das jetzt viel oder wenig in Bezug auf erforderlicher Leistung? Anders gefragt: bin ich schon bei den 28,7 km/h oberhalb des Leistungsnivaus, dass ich den lieben langen Tag trete oder noch weit darunter und bohre mir aus Langeweile in der Nase, wenn ich damit länger flach unterwegs bin?
Auch ohne Erfahrungswerte und Leistungsrechner am Rad können wir hier eine weitere tolle und sicher ebenso bekannte Seite im Internet bemühen, Kreuzotter.de. Damit können wir sehr schön den Querbezug zwischen Rennrad und Gravelbike und MTB und mehr herstellen.
Im folgenden Screenshot habe ich einfach mal ein paar Standardwerte, u.a. mein Gewicht und meine Größe eingegeben und ein Rennrad mit Oberlenker-Haltung ausgewählt. Bei den Reifen ist die Auswahl etwas dünn und veraltet – aber die Größenordnungen passen für unsere Zwecke.

Da kommt dann raus, dass ich mit dem Renner oder Gravelbike in der Ebene auf mittelmäßig rauhem Straßen-Asphalt und ohne Wind im ganz bequemer Oberlenkerhaltung 30 km/h bei 193 Watt erreiche. Ihr könnt damit weiter experimentieren. Wechselt ihr einfach nur die Griffhaltung auf „Unterlenker“, werden nur noch 143 Watt für die gleichen 30 km/h benötigt.
Jetzt wechseln wir mal auf die Checkbox „MTB, ungefedert“. Die Griffpositionsauswahl fällt weg, die gibt’s nur für Rennräder. Es wird also von einer Standard-Flatbar-Griff- und Körperposition ausgegangen. Die Reifen wechseln automatisch zu Stollenreifen 1,75″. Ja, anscheinend ist diese Seite wirklich schon sooo alt. Das tut ihrer Funktion aber keinen Abbruch. Nach dem Klick auf „Berechnen“ könnt die resultierenden und für die Berechnung herangezogenen CdA und crr in der Zeile darunter als Effektive Stirnfläche CdA in m2 und Rollwiderstandsbeiwert Cr ersehen.
Bei sonst unveränderten Angaben kommt dann heraus: für die 30 km/h brauche ich auf dem MTB 231 Watt, also 38 Watt mehr. Wenn ich das nicht will, sondern genauso „easy“ wie auf dem Rennrad fahren möchte und auch auf dem MTB nur 193 Watt investieren will, dann kann ich auch das berechnen: 28,1 km/h, also ziemlich genau wieder die schon öfter in dieser Artikelserie genannten 2 km/h als Differenz, kommen da heraus.
Aber wir wollen ja u.a. genau aus diesem Grund auch am MTB eine Dropbar verwenden. Um eine ähnlich gute oder vielleicht sogar exakt gleich gute Aeroposition auf dem MTB wie auf dem Rennrad oder wenigstens Gravelbike zu erreichen. Und unsere Körperhaltung und Bekleidung macht schon den größten Batzen am Gesamtluftwiderstand aus. Grob zwischen 70-80 %, je nach Optimierungsgrad der restlichen Ausrüstung. Was allerdings auch an Aero-Unterschieden bleibt, ist die Federgabel und sind die Laufräder samt fetten Stollenreifen. Und auch der Rollwiderstand wird größer (zumindest auf harten Untergründen).
Das bedeutet: für das Dropbar-MTB müssten die Werte irgendwo zwischen den beiden Kreuzotter.de Testrechnungen liegen. Bzw. ist es eher so, dass aufgrund der begrenzten Reifenwahl im Rechenformular die Kreuzotter-Berechnung für ein heutiges MTB mit noch breiteren Reifen und Lenkern vermutlich noch „zu schnell“ rechnet. Ich kann aus Erfahrung sagen (siehe auch das Beispiel zur Griffposition am Flatbar neben dem Vorbau in Teil 1 dieser Artikelserie), dass es vermutlich ein recht guter Anhaltswert ist, diese 2 km/h Geschwindigkeitsdifferenz für unseren Ritzerechner.de-Vergleich heranzuziehen.
193 Watt, also für mich obere Grundausdauer-Leistung für 30 km/h in der Ebene, wenn die Welt schön ist (kein Wind, mittelrauher Asphalt oder gleichwertiger Hardpack-Gravel-Untergrund) zeigt auch schon: Wenn es nur darum geht, müssen wir die hohen Werte für die Übersetzungen der 2x-Schaltung für 46 Zähne vorn und 10 Zähne hinten und die dabei resultierenden Geschwindigkeiten von 55 km/h gar nicht als Anspruch aufrecht erhalten. Die sind für Sprints oder als Reserve bei ordentlich Rückenwind und für Druck machen auch in der Abfahrt. Der Einsatzschwerpunkt unseres Dropbar-MTB soll schon mehr in Richtung off-road und Klettertauglichkeit getrimmt sein. Aber die Wattzahlen und Geschwindigkeiten für das Fahren in der Ebene ohne großartigen Gegenwind und mit hartem Untergrund, die sollten uns brennend interessieren!
Die 193 Watt aus dem Beispiel sind auch tatsächlich im oberen Bereich meiner GA1, wenn ich gut in Form bin. Also wirklich nichts außergewöhnliches oder nur etwas für einen Zielsprint. Die resultierenden 30 km/h Geschwindigkeit müssen, das zeigen auch meine tatsächlichen Fahr-Erfahrungen mit der fertigen 1x-Schaltung am Exceed, mit mindestens noch 2 Ritzeln in Reserve, also mindestens schon für das 3. Ritzel von rechts, herauskommen. Sonst ist wirklich keine Luft für knackige kurze Feierabendrunden oder Tempobolzen vorhanden. Ja, es wäre nicht mal Luft für lockeres Treten bei gutem Rückenwind oder leicht abfallender Strecke vorhanden.
Das schauen wir uns wieder im Ritzelrechner an:
Zunächst kurz zurück auf die erste Ritzelrechner-Grafik weiter oben geschaut. Dort sehen wir für das 32er Kettenblatt, dass im dritten Ritzel von rechts, dem 14er, nur 28,7 km/h resultieren. Schon zu langsam. Und das gar für 90er Kadenz. Denken wir an meine Wohlfühl- und gleichzeitig Durchschnittskadenz zurück. Die ist eher 80. Ihr könnt dies im Ritzelrechner mit dem kleinen Schieber unten links einstellen. Jetzt resultieren im selben 14er Ritzel nur noch 25,5 km/h! Kurz auf den (natürlich noch offenen) Kreuzotter-Tab im Webbrowser geklickt und diesen Wert eingegeben: Selbst mit viel Windwiderstand in Flatbar-Körperposition werden dafür nur 150 Watt gebraucht. Kein Wunder, dass sich das 32er Kettenblatt schon in der Ebene so anfühlt, als würden die Beine widerstandslos „durch das Pedal fallen“.
Für nur zwei Zähne mehr am Kettenblatt, für ein 34er, sieht der Vergleich zwischen 2x- und 1x-Schaltung nun so aus:

Im dritten Ritzel von rechts werden jetzt immerhin 30,5 km/h bei 90er Kadenz erreicht. Und bei 80er Kadenz wären es dann immerhin auch noch 27,1 km/h. Damit kann ich sehr gut leben. Ja – da fehlt immer noch einiges zur Vielseitigkeit einer 2x-Schaltung. Die in meiner Konfiguration dafür auch nicht so weit in die Kletterleistung hereinreicht.
Ich habe mir auch noch die Werte für ein 36er Ritzel angeschaut, ihr seht sie hier im Vergleich:

Noch etwas besser für eher flachere Umgebungen, immer noch klettertauglicher als eine 2x Schaltung. Vielleicht von der reinen Übersetzung her noch vielseitigerer und näher an meinem Gravelbike. Ich habe mich dennoch zunächst für ein 34er Kettenblatt als Daueroption entschieden. Und zwar aus den folgenden Gründen:
34T for my personal win
Aus den folgenden Gründen ist es für mich das 34er Kettenblatt geworden:
- Ab 34 Zähnen erhalte ich die für mich kritisch notwendigen 2 Ritzel „Luft“ oberhalb Bummeln in der Ebene. Also als Reserve, wenn der Untergrund schön glatt ist, mal Rückenwind herrscht oder ich etwas mehr Druck machen möchte.
- Gleichzeitig bleibt die Kletterfähigkeit aber weit im MTB-Bereich und ist lässt es zu, selbst steile Waldwege noch im GA-Bereich zu fahren, wenn ich mag. Und bietet damit natürlich auch einiges an Reserve, wenn das Rad mit Gepäck beladen ist.
- In der Tat geht es dann doch des öfteren wenigstens leicht bergauf, der Untergrund ist rauher oder der Wind kommt von vorn (oder alles zusammen), d.h. ich bin in der Tat viel im mittleren Bereich der Kassette unterwegs, genau in bzw. links oder rechts der Kettenlinie und daher ideal in Bezug auf geringste Verlustleistung und geringsten Verschleiss von Kette, Kettenblatt und Ritzelpaket. Das wäre zugegebenermaßen auch für ein 36er Kettenblatt aufgrund der Größe der Gangsprünge in der Kassette auch nicht anders (sofern dieses 36er Blatt mit der gleichen Kettenlinie wie das 34er gefahren werden kann – siehe nächsten Gedankenstrich). Ab 38 und mehr Zähnen (vielleicht für Flachland-Dropbar-MTBler interessant) aber schon.
- Und ab 36 Zähnen müsste ich mir beim Exceed auch schon Gedanken über ein nur mehr sehr geringen Freiraum zwischen Kettenblatt und Kettenstrebe machen. Bzw. bräuchte dafür schon eine 55 mm Kettenlinie anstelle der jetzt gewählten und für mich idealen Kettenlinie von 52 mm. Damit ginge also sofort mehr Kettenschräglauf für die obere Hälfte der Kassette einher!
Und damit sind wir am Ende von Teil 4 angelangt. Spätestens hier sollte jetzt jeder wissen, worauf er sich bei einem 1x-Antrieb eingelassen hat und was er prüfen sollte, wenn sich das Pedalieren irgendwie komisch anfühlen sollte. Entweder, weil die Kurbel ungewöhnlich breit oder der Kettenschräglauf ungewöhnlich stark sein sollte. Und warum es gar nicht so einfach ist, bei MTB-Kompletträdern oder -Rahmen auf die Angabe einer maximal möglichen Kettenblattgröße zu vertrauen. Welche Annahmen stecken dahinter? Welche Kettenlinie wird vorausgesetzt? Seid ihr bereit, die bei zu extremen Hinterbauten (Boost, Superboost plus) und damit nicht harmonierenden Kettenlinien auftretenden Auswirkungen in Kauf zu nehmen? Hier in diesem Artikel habt ihr das Rüstzeug dafür erhalten, so hoffe ich.
Nun liegt nur noch ein weitere Teil der Serie vor uns. Der Abschluss in Teil 5 mit Eindrücken und einigen Hinweisen zum finalen Umbau meines Dropbar MTBs und einer kurzen Besprechung der im weiteren noch ausgewählten Teile dafür. (Folgt in Kürze)
Hier hat just gestern der Radavist auch einen guten Artikel zum Thema Chainline und den Hintergründen geschrieben: https://theradavist.com/55mm_chainline/