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Buchempfehlung / Buchbesprechung: „Ultracycling & Bikepacking. Alles, was du wissen musst.“

Ultracycling & Bikepacking. Alles, was du wissen musst ist ein Buch von Stefan Barth, erschienen Ende 2022 und herausgegeben durch die von Stefan selbst gegründete longdistance Media. Es ist u.a. dort als Hardcover, Paperback und ebook zu erwerben.

Frontcover: „Ultracycling & Bikepacking. Alles, was du wissen musst.“

Hier möchte ich eine kurze Buchempfehlung dazu geben und einen Blick in den Inhalt werfen. Viel zu selten habe ich hier im Blog bisher schon mal eine regelrechte Rezension oder Buchempfehlung als Artikel veröffentlicht, obgleich ich doch gerade auch zum Thema Radsport, Radfahren allgemein und auch Training, Physiologie etc. das eine oder andere Buch (in welchem Format auch immer – sei es als Buch zum Anfassen, Hörbuch, selbstveröffentlichtes eBook oder PDF) und viel mehr noch wissenschaftliche Artikel und Co durchaus interessant und teilenswert finde. Und mein Bücherschrank, genauso wie meine digitale Bibliothek, recht umfassend ist und sprichwörtlich seit Jahrzehnten wächst. So hätte ich z.B. schwören können, dass ich mindestens mal zu Emily Chappells Buch „Where there’s a Will“ eine Kurzrezension verfasst und veröffentlicht hätte. Offensichtlich aber nicht. Ok – ganz kurze Rezension: mir hat es sehr große Freude beim Lesen bereitet und ich fand es hochinteressant… ;-)

Zwei andere Bücher, die ich aber definitiv in einem Artikel hier im Blog besprochen habe, sind: „Faster: The Obsession, Science and Luck behind the World’s fastest cyclists“ und „How Bad Do You Want It?“.

Zwei Bücher, die in ihrem Feld deutlich über den Durchschnitt herausragen und die mir gleichzeitig die Gelegenheit gegeben haben, in meinen Augen wirklich gut geschriebene Werke und interessante Inhalte hervorzuheben.

Gut geschrieben und interessant vom Inhalt her (haha, was für eine Überleitung ;-)) finde ich auch Stephan Barths neues (und erstes) Buch: „Ultracycling & Bikepacking. Alles, was du wissen musst“

Und um das soll es hier im Folgenden gehen.

Bikepacking und Ultracycling – gibt es das als „Feld“ schon in der Literatur?

Ragt es in seinem Feld deutlich hinaus und was ist überhaupt das Feld, um den dritten Aspekt der Überleitung aufzugreifen? Ich will hier soweit vorausgreifen, in dem ich sage, dass ich das Ausmaß an verständlicher aber durchaus detaillierter Hintergrund-Information zu den behandelten Themen sowie die jeweils angeführte Vielzahl an Literaturverweisen durchaus außergewöhnlich und gut finde. Und das Feld, wenn wir es rein auf Bikepacking reduzieren wollten, ist halt in der Tat noch sehr überschaubar.

Es gibt eine Vielzahl an hervorragenden Webseiten, die diverse, oft viele Facetten zum Thema Bikepacking und drumherum behandeln. Von Erfahrungsberichten, How-Tos, Tips und Tricks, dem Wie und Warum der Vorbereitung, Inspiration etc.

Na klar – mein Blog, in dem ihr gerade lest, hat da einen großen Schwerpunkt. Sehr gerne, gerade wenn es um das Transcontinental-Race (aber auch darüber hinaus) geht, verweise ich auch auf die exzellente Seite von Chris White: Ridefar.info. Manchmal kommt auch der Wille zum Schreiben und Teilen mit der Fähigkeit, Rennen zu gewinnen, zusammen. Was keine zwangsläufige Kombination ist. So kann man z.B. bei James Mark Hayden immer mal wieder interessante Einblicke und regelrechte Tips- und Wissensweitergabe-Artikel finden: James Mark Hayden. Natürlich gibt es da noch mehr gute Quellen im Internet, aber die zwei sollen exemplarisch hier genügen.

Bei (Buch)-Veröffentlichungen wird es dann schnell dünn. Eine Empfehlung von mir, die ich auch schon längst mal hier im Blog gegeben haben wollte, ist z.B. „Touring with a sense of urgency. A comprehensive guide to bikepacking racing.“ von Jesse Carlson und Sarah Hammond (2019). Ihres Zeichens u.a. Veranstalter des Indian Pacific Wheel Race und des Race to the Rock (beide in Australien) sowie Abo-Gewinnerin des letzteren. Man kann das „Buch“ als PDF von den beiden zum Download erwerben.

Dann gäbe es z.B. auch noch so etwas wie Gunnar Fehlaus „Rad und Raus. Alles für Microadventure und Bikepacking.“ (2. Auflage 2018), welches die andere Seite des Spektrums beleuchtet und bewirbt: Nicht als Rennen und auch nicht (notwendigerweise) lang, sondern vielleicht nur als sogenannter „Overnighter“ an einem Wochenende. Und auch mehr als Einstieg und Motivation gedacht: „Hier, mach doch mal. Ist nicht schwierig und du kannst es an einem Wochenende machen. Guck mal, diese Taschen hier könntest du an’s Rad machen und denke noch dran, dies hier einzupacken und los geht’s.“

Das zu Anfang erwähnte Buch von Emily Chappell geht nochmal in eine ganz andere Richtung, nämlich in interessante Hintergründe ihrer Beziehung zum Radfahren, zu ihren Treffen mit Mike Hall (dem 2017 leider in einem Rennen durch eine Kollission mit einem unaufmerksamen Autofahrer zu Tode gekommenen Gründer des Transcontinental Race) und damit sowohl der Geschichte des Transcontinental Race wie auch dem Gedankenleben innerhalb zweier solcher Transcontinental Race Austragungen, welches vieles an Einblick, Einsicht und Motivation für den geneigten Leser bietet. Wo ich schon Emily anspreche, will ich nur kurz noch Juliana Buhrings Buch „This Road I Ride“ erwähnen, wo sie über ihre Geschichte von blutigem Anfänger zur ersten Frau (nun, zumindest der „Neuzeit“), die den Guiness Weltrekord zur Umfahrung der Welt mit dem Rad in 2012 aufstellt, schreibt. Da sind wir aber schon eher im Bereich „wie man es nicht wirklich machen sollte“, denn Juliana ist schon ein außergewöhnlicher Mensch und die Buchintention geht auch mehr in Richtung Inspiration, Lebensgeschichte, Abenteuer usw.

Hier und bei Stefans Buch geht es jedoch um Langstrecke und zwar die ambitioniertere Version davon. Das kann auch das ab und an so gerne und für mich so furchtbar falsch klingende „Erlebnis statt Ergebnis“ sein, wo das Abenteuer im Vordergrund steht und die Platzierung (wenn es sich überhaupt um eine Veranstaltung mit anderen Teilnehmern und Platzierungen handelt) im Hintergrund bleibt. Für mich ist das alles Erlebnis und Ergebnis gleichermaßen! Nur weil sich etwas reimt, muss es noch kein passender oder inkludierender Spruch sein.

Wie dem auch sei: um ein Erlebnis zu haben (und besonders wenn es um anspruchsvollere Eskapaden, gar Bikepacking-Rennen) geht, braucht man eine solide Grundlage, die nicht nur daraus besteht, dass man überhaupt mal inspiriert wird, so etwas zu tun und erzählt bekommt, welche Ausstattung man dafür braucht bzw. was es da so alles gibt, sondern vor allem auch, wie man die nötige Grundlage in Form von Ausdauer und allgemeiner Fitness bekommt, wie man solche Rennen bzw. Bikepacking-Abenteuer vorbereitet und welche Aspekte zu einer effizienten Strategie dazugehören.

Ein weiteres Buch, welches genau in diese Kerbe schlägt, ist „Ultra-Distance Cycling: An Expert Guide to Endurance Cycling“ von Simon Jobson und Dominic Irvine (2017) welches von sich im Klappentext schreibt, das erste „mainstream“ Buch zu sein, welches praktische Handlungsanleitung zur Vorbereitung und Durchführung von Lang-Distance-Rad-Veranstaltungen bietet, wenn auch mit Schwerpunkt auf supported Events, wie z.B. einem Race Across America, Race across the Alps oder Quer durch England Rekordversuchen (LEJOG) etc. Und welches sich auch schon ein paar Jahre in meinem Bücherschrank befindet.

Weitere, explizit für Ultracycling bzw. Bikepacking geschriebene, regelrechte Bücher fallen mir da gerade in der Tat nicht ein. Eine schnelle und oberflächliche Internetsuche gibt mir noch die zwei folgenden Treffer: „Bikepacking: Mit dem Fahrrad das Land entdecken.“ und „Bikepacking: Langstreckenabenteuer mit leichtem Gepäck“. Natürlich gibt es aber themennahe und sehr gute Literatur, wenn man das Feld bereits nur leicht erweitert. Ob das jetzt das selbe Thema, nur ein anderer Sport ist: „Training Essentials for Ultra-Running“ oder auch „Training for the Uphill Athlete“, ob es übergreifende Sport- und Ausdauerleistungsbücher wie „Endure: Mind, Body and the Curiously Elastic Limits of Human Performance“ von Alex Hutchinson sind, das ich euch übrigens ebenfalls sehr an’s Herz lege oder natürlich Literatur, die sich mit diversen Einzelthemen befasst, die für Ausdauerleistungen wichtig sind. Trainingsgrundlagen, Physiology-Bücher, Bücher zu Ernährung, Hintergründe zu Motivation etc. pp.

Und ganz bestimmt gibt es noch weitere Bücher, oder sind weitere in Planung, die als regelrechte Reiseberichte (auch Radreisen) oder als Tourenempfehlungen bzw. Tourensammlungen im Übergang zwischen Radreise, Gravel-Riding und Bikepacking angesiedelt sind.

Halten wir also fest: Das Feld ist im engeren Sinne, gerade wenn es um das Know How der Vorbereitung und um den Renn-Aspekt geht, noch sehr überschaubar, aber es wächst.

Was ist der Inhalt und damit auch: Wer ist die Zielgruppe?

Der Titel sagt es einerseits schon und andererseits ist er aber auch ein bisschen irreführend.
Na klar – „Ultracycling & Bikepacking. Längst nicht alles, was du wissen musst, aber schon ganz schön viel, um dich und deinen Körper auf Bikepackingevents vorzubereiten.“ wäre vielleicht etwas lang und längst nicht so „catchy“ als Titel. ;-)

Was z.B. nicht enthalten ist, ist das Folgende, über das man in der Tat ein weiteres ganzes Buch schreiben könnte:

  • Know-How, Tips und Tricks für die Planung von eigenen Touren bzw. von Strecken bei Rennen mit freier Routenwahl (Nutzung eigener Stärken, Schnelles Vorankommen, Sichere Versorgung, Unterkunft etc.)
  • Wahl der Ausrüstung und des Rades je nach Ort der geplanten Veranstaltung bzw. des Rennens unter Berücksichtigung der Streckenwahl und der eigenen Stärken bzw. Präferenzen (Wo und wie Schlafen, Welches Schlafsystem, ggfs. daher wie Schlafplätze wählen)
  • Tatsächliche „Racecraft“, d.h. wie tägliche Ziele wählen, Stopp-Zeiten managen, unterstützende, clevere Equipment-Wahl usw.

Aber es muss ja noch Raum für Folgewerke bleiben ;-) Und durch die enhaltenen „Insights aus Interviews mit Christoph Strasser, Lael Wilcox, James M. Hayden, Jenny Tough und vielen weiteren“ (so der Covertext), kommt dann doch einiges aus dem Kontext der gerade genannten Punkte zur Sprache oder kann sich abgeleitet werden. Letzteres vielleicht aber erst, wenn man selber schon etwas Vorwissen vor dem Lesen des Buches mitgebracht hat.

Insgesamt 13 Seiten verwendet das Buch auf die durchaus zahlreichen Beiträge von noch einigen Mehr als die auf dem Frontcover erwähnten erfahrenen und erfolgreichen Ausdauerathlet:Innen aus dem supported wie auch unsupported Ultra- bzw. Bikepackingracing-Bereich.

Was enthalten ist sind die folgenden drei Säulen, die auch sehr sinnvoll anhand der angegebenen Aufgabe des Buches ausgewählt sind. Diese Aufgabe und das Ziel ist die
Erstellung eines gesamthaften Trainingswerks für alle Aspirantinnen auf der Langstrecke. Vom frischen Einsteiger bis zu bereits erfahrenen Sportlern, die sich in diesem Bereich verbessern wollen oder für die Bikepacking neu ist.

Diese 3 Säulen des Buches sind:

Als erste Säule und Teil 1: Die Ausdauerleistung.

  • Welche Komponenten gehören dazu (Blut, Herz, Lunge, Stoffwechsel etc.)
  • Wie plane ich eine Trainingssaison
  • Trainingsprinzipien
  • Leistungstests
  • und schließlich ein paar ausgewählte Trainingseinheiten

Im Grunde könnte dieser Teil 1 des Buches fast ein alleinstehendes Buch zum radsportspezifischen Ausdauertraining sein. Wer sich schon mit strukturiertem Training auskennt und oder vielleicht schon das eine oder andere Buch zu diesem Thema im Regal stehen hat, wird hier wenig Neues lesen können. Was aber weder schlimm ist, noch verwundert. Gute und zielführende Trainingsprinzipien ändern sich nicht, wenn man die „Maschine Mensch“ auf gute Ausdauerleistungen vorbereiten möchte. Ob diese nun 3, 8 oder 24 Stunden lang sind. Und egal, ob man diese nur 1 mal (Eintages-Rennen oder Event) oder 6 bis 14 mal hintereinander durchführt (Etappen-Rennen, Mehrtagestour oder Nonstop-Ultra-Rennen). Klar gibt es Unterschiede im Detail und Stefan kann sich hier sparen, im Bereich der sogenannten Build- und Peak-Phase auf Rennformate wie Kriterien, Sprints etc. einzugehen. Die Grundlagen sind aber gleich und diese liefert Stefan daher auch.

Der Vorteil ist: Wer sich mit dem Kontext des strukturierten Trainings bisher weniger auseinandergesetzt hat, findet hier alle nötigen Infos direkt aus einem Guss und ebenso immer den Bezug auf das Ziel Langstrecke.

Die zweite Säule und damit der zweite Teil des Buches ist mit „Effizienz“ überschrieben.

Als erfahrener Teilnehmer von Ultracycling-Rennen im Selbstversorgermodus könnte man jetzt denken: Aha! Wie plane ich meine Route möglichst effizient, wie schaffe ich es, Stillstandzeiten zu minimieren, in dem ich nur an geeigneten Punkten zum Verpflegungskauf anhalte, auf dem Rad esse usw. Oder im Supported Bereich: Wie wähle ich ein effizientes Team aus, was muss es können, wissen, dabei haben, wie organisiert man Stopps, Radwechsel etc.

Nein, wie zu vor ausgeführt, ist das nicht Inhalt des Buches. Hier wird mit Effizienz rein auf das Halten einer möglichst aerodynamischen Position auf dem Rad abgezielt. Das hört sich jetzt erst einmal komisch und viel zu reduziert in Bezug auf die Anforderungen an den Körper bei Ultraausdauer-Veranstaltungen an, kommt im Endeffekt aber auf genau dieses wichtiges Thema und einen sehr guten Inhalt heraus, der auch einen der besonderen Stärken des Buches darstellt. Nämlich dem Aufbau und dem Training der passiven Strukturen unseres Körpers. Von daher ist es nur die Einleitung in diesen Abschnitt, die etwas einseitig auf eine aerodynamische Zeitfahrposition abzielt – ganz schnell und im eigentlichen Inhalt dieses Abschnittes geht es jedoch um sehr viel mehr.

Natürlich ist Aerodynamik im Radsport immer wichtig – nicht falsch verstehen. Ihr findet hier bei mir im Blog ja genügend Hintergründe und Tests zu diesem Thema. Noch vor dem Halten einer guten Aeroposition (was durchaus Kernthema für ein kurzes wie auch langes Zeitfahren ist und insbesondere bei vergleichsweise „kurzen“ supported Rennformaten, die auch auf regelrechten Zeitfahrrädern gefahren werden ist), geht es beim allgemeinen Ultracycling wie auch Bikepacking darum, überhaupt komfortabel, lange und gut – ja, idealerweise auch effizient – sitzen sowie pedalieren zu können. Dazu gehört die Ausstattung (Sattelwahl, Lenkergestaltung, ggfs. Aerobars), die Geometrie und die Position auf dem Rad und das Training der und das Wissen um die passiven Strukturen des Körpers; der Tiefenmuskulatur, der Bänder und Sehnen, Gelenke und Faszien.

Hier merkt man den Hintergrund von Stefan als Medical Fitness Coach. Und man bekommt, ähnlich wie in Teil 1 ein komplettes Buch zum strukturierten Rad-Ausdauertraining, hier ein komplettes Einsteiger-Buch zum Thema Muskulatur, Funktion und biomechanische Grundlagen in Bezug auf das Radfahren sowie das Training der so wichtigen stabilisierenden Tiefenmuskulatur. Den Abschluss bildet ein Exkurs in die Welt der Faszien inklusive der Vorstellung einiger myofaszialer Übungen.

Die dritte Säule und der dritte Teil ist schließlich die „Strategie“

Hier wird es nun wirklich und richtig Bikepacking- bzw. Ultracyclingspezifisch und es kommen auch Aspekte der von mir zuvor immer mal wieder eingestreuten „Das ist nicht wirklich Inhalt des Buches“ Themen zur Sprache. Und zwar durchaus im Detail.

Im Grunde sind es die beiden Themen „Mindset“ und „Ernährung“, die ich auch sehr spannend finde. Mindset wird mit 12 Seiten zwar knapp aber mit guten und wesentlichen Infos (u.a. Wichtigkeit der Zielsetzung und wie man dabei vorgeht) abgehandelt. Beim Thema Ernährung gibt es wie üblich wieder gute Grundlageninformation und darauf aufbauend dann Empfehlungen zur Energieversorgung im Training aber auch im Rennen. Hier kommt es gerade bei Selbstversorgerformaten ja nicht nur auf die Makronährstoffverteilung und die Menge (sowie immer auf die Verträglichkeit) an, sondern auch auf das „Wie“. Wie bekomme ich überhaupt etwas, in der richtigen Menge und für mich verträglich? Auch dafür gibt es ein paar Praxistipps, wieder ergänzt bzw. auf Basis der Insights von verschiedenen interviewten Athlet:innen sowie von Stefan selbst.

Spannend und gut finde ich auch, dass und wie Stefan dann weiterhin auf die Themen Koffein, Schmerzen und Schlaf eingeht. Und zwar ohne irgendeine vorgreifende Moral- oder Ethik-Keule auszupacken, sondern sachlich und nüchtern die Effekte beschreibend und auf diverse Studien verweisend. Mich hier bitte nicht missverstehen – alle drei Aspekte sind im Zusammenhang mit Ultracycling sehr relevant und werden zunehmend mit Sorge betrachtet. Müssen es auch. Leider müssen wir hier aber auch gar nicht in das Feld und die Nische Ultracycling blicken, sondern es reicht ein Blick auf den Breitensport und da z.B. auf die ubiquitäre Sorglosigkeit, mit der für einen simplen Marathon schon präventiv Schmerzmittel genommen werden, bevor auch nur der erste Schritt getan wird. Das ist absolut abzulehnen und zu verurteilen. Aber gerade auch das Thema Schlaf (oder das komplette Auslassen dessen) ist ein besonderes für das Ultracycling. In dem Zusammenhang wird dann auch oft Koffein gesehen und, wenn es nicht in Form der normalen Cola oder eines Kaffees geschieht, von vorneherein mit diffusen Vorstellungen und Ablehnungen aufgeladen. Oft – so mein Eindruck – ohne sich mit den Wirkungen (und Nicht-Wirkungen) sowie den weiteren Zusammenhängen auszukennen. Sondern aus dem (durchaus nachvollziehbaren) Wunsch, dass sich Teilnehmer nicht mit irgendwelchen Mitteln künstlich (und auch nur vermeintlich) Wach halten, obgleich das absolut ungesund (langfristig) ist und nicht nur eine Gefahr für den Teilnehmer an sich (im Sekundenschlaf auf die Gegenfahrbahn oder in den Abgrund geraten), sondern auch für andere Verkehrsteilnehmer, Angehörige und mittelbar dann natürlich der entsprechenden Veranstaltung und dem Sport als solches gravierende Folgen haben kann! Das ist alles richtig und wichtig – wird dann aber leider in einen Topf mit der Frage geworfen: Wie wirkt Koffein überhaupt, wozu trägt es bei, wie funktionieren unterschiedliche Dareichungsformen überhaupt und in welchem Kontext ist es auch komplett oder nahezu wirkungslos? Natürlich kann Stefan hier auch keine Grundlagenarbeit schreiben und die zuvor von mir aufgeführten übergreifenden Aspekte kommen bei ihm – und das finde ich in dem Zusammenhang gut – gar nicht zur Sprache, sondern die insgesamt 8 Seiten, die er dem Thema widment, kommen rein sachlichen Informationen und Studienverweisen zu Gute. So kann sich jeder informieren und dann schon mal auf besserer Basis in weitere Diskussionen oder Entscheidungsfindung für sich einsteigen.

Beim Thema „Schmerz“ kommt dann viel zusammen. Stefan nutzt es als Anker für diverse wichtige Themen, die auf den ersten Blick vielleicht nur mittelbar damit zusammenhängen. Also auch z.B. das Thema Gesäßpflege, Funktion der Haut, Kontaktpunkte (Hände, Füße, Gesäß) usw. Was ich mir hier mitgenommen habe, ist das Thema der Bewertung der Schmerzen (wo ich tatsächlich gerade beim Prüfen dieses Abschnitts wieder feststelle, dass hier auf eine Studie verwiesen wird, die ich im Literaturverzeichnis nicht gefunden habe), sowie das Thema der „Kopfschmerzen“. Hier sind Schmerzen gemeint, die allein im Kopf entstehen, weil das Gehirn unbewusst zu dem Schluss kommt, dass das hier gerade alles nicht zu erfolgversprechend ist und dem Körper Schmerzen vorgaukelt, damit der endlich mit diesem aktuellen Unterfangen aufhört. Auch die Mobilisationsübung für den Mittelarmnerv und Ellennerv hatte ich so noch nirgendwo gesehen. Werde ich mal ausprobieren.

Was besonders gefällt und Wünsche

Wie zuvor schon dargestellt: Stefan stellt viel zusammen, was im Grunde auch jeweils ein eigenes Buch sein könnte (und vielleicht sich auch schon in dem einen oder anderen Werk in eurem Regal befindet). Wie ein roter Faden zieht sich aber alles entlang der konsequenten Vorbereitung auf Ultracycling-Events und es werden immer sowohl die nötigen Verständnisgrundlagen wie auch der Kontext zum Thema Ultracycling gegeben. Bei all dem findet mancher die Textseiten (die durchaus nicht wenige Abbildungen, Tabellen oder Fotos enthalten) vielleicht etwas zu ausufernd und darf sich dann über die „Auf den Punkt“ Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels freuen.

Blick ins Buch

So lohnt das Buch auch, wenn man schon das eine oder andere Buch zu den diversen Feldern wie Training, Sportphysiologie, Psychologie etc. sein eigen nennt.

Ich habe hier bewusst nirgendwo Details aufgegriffen, wo ich vielleicht nicht ganz einer Meinung mit Stefan bin oder einem Aspekt andere Gewichtung beimessen würde. Klar gibt es solche hier und da, aber erstaunlich wenige und hier im Kontext der Buchempfehlung sind sie nicht wesentlich. Dennoch habe ich auch ein paar wenige Wünsche, sollte es mal an eine Neuauflage gehen:

Ein paar detailliertere und größere Abbildungen zu den Muskelgruppen-Erläuterungen fände ich z.B. nicht schlecht.

Etwas ausholen möchte ich zum Thema Trainingszonen-Festlegung:

Trainingszonen-Bezug auf den 2 x 8 Minuten CTS Field Test verwirrend

Für mich ist der Trainingszonen-Bezug, der im späteren Verlauf des Teil 1 immer mal wieder genutzt wird, etwas verwirrend. Für jemanden, der nur das Buch von Stefan als erste Heranführung an strukturiertes Training, Leistungstests und darauf aufbauende Zoneneinteilung kennt, absolut kein Problem. Würde es aber sicher sofort, wenn sich diese Person auch anderweitiges Material dazu besorgt und zu Rate zieht (oder halt schon jahrelang kennt und benutzt) und dann ständig Quer-Referenzen und Anpassungen vornehmen muss. Ja klar, in gewissen Sinne muss man das ständig, denn es gibt verschiedene Zonen- und Trainingsmodelle und auch Tests zur Ableitung der persönlichen Zonen gibt es zu Genüge. Alle mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Und das „functional“ in „Functional Threshold Power“ (FTP) bezieht sich unter anderen genau auf den Fakt, dass die Bestimmung dieser Schwelle sehr pragmatisch ermittelt und sehr pragmatisch für die Einteilung von Trainingszonen benutzt werden kann. Ein weiteres wichtiges Schlüsselwort ist dabei „Zone“. Denn die Übergänge sind oft mehr oder weniger fließend, was sowohl für die Abläufe im Körper wie auch für die Trainingsreize gilt. Eine Wattscharfe, gar Kommagenaue, Festlegung macht überhaupt keinen Sinn. Schon gar nicht, weil auch die Tagesform immer leicht fluktuiert.

Es ist daher im Endeffekt nicht so wichtig, ob man den sogenannten Tempo-Bereich nun als 80-85% des Ergebnisses des einen von zwei genutzten Tests von Stefan, dem 2 x 8 Minuten CTS Field Test oder als die üblichen von Coggan und Allen definierten 76-90%, aber vom sogenannten FTP-Wert, heranzieht. Aber egal welche Kritikpunkte man an diversen FTP-Tests anbringen kann (von denen der CTS Field Test auch nur einer von vielen ist): wenn man beim oft und gern genutzten 5 Zonen-Modell gemäß Coggan und Allen bleibt, sollte man sich auch auf den FTP-Wert als 100% beziehen. Wie auch immer man diesen als für sich relevant ermittelt. Darauf geht Stefan auch durchaus ganz kurz ein, in dem er anführt, dass man die Werte anpassen muss, wenn man anstelle des CTS-Tests einen 60-minütigen FTP Test nutzt (werden wohl nur die hartgesottensten Menschen tun) oder einen der klassischen 20 Minuten-Tests. Wobei – und da würde es auch wohl im Buch dann zu viel des Guten – man hier auch längst nicht jeden 20 Minuten-FTP-Test über den gleichen Kamm (d.h. auch nicht den gleichen Anpassungsfaktor von 1,05, den Stefan angibt) scheren kann. Hier kommt es nämlich auf das Testprotokoll an und ob da Vorbelastungen oder nicht enthalten sind. Hier könnte man beliebig komplex werden – aber am Ende bleibt der Aspekt der „Funktionalität“ im Vordergrund. Also kein Stress um 3 Watt hier oder 6 Watt da. Schön wäre aber wie gesagt ein allgemeinerer Bezug auf die üblichen FTP. Und wenn es allein schon dazu dient, dass der Einsteiger die gleichen Zonen wie im Buch vorfindet, wenn er einen FTP-Test für das Indoor-Training auf Plattformen wie Zwift, Wahoo oder Trainerroad absolviert.

Das war es aber im Wesentlichen schon.

Abschließend kann ich sagen, dass es mich freut, dass uns Enthusiasten und Einsteigern bzw. Quereinsteigern zu gleich mehr und mehr Material mittlerweile auch in Form von kompletten Büchern zum Thema Ultracycling- und Bikepacking-Vorbereitung und Durchführung zur Verfügung steht.

7 Kommentare

  1. Danke für die erhellende Rezension und Beschreibung des Inhalts, Torsten. Interessant finde ich, dass das Buch sich offenbar fast ausschließlich auf die physiologischen Elemente konzentriert. Das ist für mich einerseits super, weil: davon habe ich wenig Ahnung und dachte immer schon da sollte ich mich doch mal etwas besser informieren; insofern scheint das das ideale Buch für mich zu sein um mir mal einen „tiefen Überblick“ zu verschaffen! Danke für den Tip!
    Andererseits ist der Titel dann tatsächlich etwas irreführend; schlimmstenfalls suggeriert er manchen Athlet*innen noch das wäre das *einzig* Entscheidende. …Wie oft haben wir unheimlich starke und physisch gut vorbereitete Athleten am Start gesehen, die in der Praxis eines Rennens doch nicht klar kommen. Vielleicht eine gute Lücke für ein weiteres Buch, das sich dann auf die von dir genannten Elemente bezieht, die hier noch nicht einbezogen sind : ) Das könnte einerseits funktional Nützlich für viele zukünftige und ggfs auch aktuelle Ultra-Fahrer*innen sein, und gleichzeitig auch eine Funktion des Erwartungsmanagements erfüllen sodass Teilnehmer*innen besser wissen was auf sie zukommt.

    1. Also doch auf Stefan einwirken, dass er den Untertitel ändert… Nicht alles, was du wissen musst, aber schon ganz schön viel… ;-)

      Es ist ja wie beschrieben schon einiges zum Thema Mindset mit drin und auch viele andere Dinge, die das mentale Gebilde bzw. die Motivation kippeln lassen können, sind ja durch eine gute Vorbereitung im Hinblick auf Training aber auch Know-How zum Thema Kontaktpunkte vorbereiten und Probleme vermeiden angesprochen und gehen in die Richtung.

      Aber ja – insgesamt, rein vom Seitenumfang her sind die Teile 1 und 2 rein der körperlichen Vorbereitung gewidmet und auch in Teil 3 dreht sich da vieles um erweiterte, physiologische Dinge. Ist so.

      „Erwartungsmanagement“ ist ein gutes Stichwort. Ich gehe ein bisschen in meinem vorletzten Artikel zum „how to thrive and survive in the Atlas Mountain Race“ mit dem letzten Aspekt, dem Mental Approach (Artikel ist in Englisch) darauf ein.

  2. hallo Torsten, ganz herzlichen Dank für Deine Buchbesprechung/-empfehlung. Das scheint ein sehr nützliches Werk zu sein. Ich werde es mir beschaffen. … Und überhaupt! Ich bin froh, Dein Blog gefunden zu haben –mit so vielen gründlich recherchierten Artikeln. Habe gerade den Beitrag mit dem Vergleich Tailfin und Tubus Airy mit diversen Taschen gelesen. Überaus hilfreich und detailliert. … Mein Titan-Randonneur-Rad habe ich übrigens nach Mike Hall „Mike “ getauft. Es ist auch ein Kinesis UK-Granfondo- Titan, das ich mir 2017 selber aufgebaut habe.
    beste Grüße

    Dietmar – randonneurdidier

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